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MEMORIAL DAY - Die Gefahr - Thriller

MEMORIAL DAY - Die Gefahr - Thriller

Vince Flynn

 

Verlag Festa Verlag, 2020

ISBN 9783865529008 , 576 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

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4,99 EUR


 

PROLOG

Mitch Rapp starrte durch die nur von einer Seite lichtdurchlässige Scheibe in die klamme unterirdische Betonkammer. Ein Mann, der lediglich Unterwäsche trug, war mit Handschellen an einen wackligen, verdammt ungemütlich wirkenden Stuhl gekettet. Eine nackte Glühbirne baumelte von der Decke, höchstens 30 Zentimeter über ihm. Das grelle Leuchten in Verbindung mit dem Zustand fast völliger Erschöpfung führte dazu, dass sein Kopf nach vorn kippte, wodurch das Kinn auf der Brust zum Liegen kam. Er stand gefährlich kurz davor, das Gleichgewicht zu verlieren und umzufallen. Genau darauf legten sie es an.

Rapp sah auf die Uhr. Ihm gingen Zeit und Geduld aus. Am liebsten hätte er dieses Stück menschlichen Abfalls erschossen, um die Angelegenheit zum Abschluss zu bringen, aber ihre aktuelle Situation war deutlich komplizierter. Er musste den Kerl zum Reden bringen, dafür betrieben sie den ganzen Aufwand. Irgendwann redeten natürlich alle, das war nicht das Problem. Der Trick bestand darin, die Wahrheit aus ihnen herauszukitzeln. Dieser Mann bildete keine Ausnahme. Er klammerte sich stur an seine Geschichte, von der Rapp wusste, dass es sich von vorn bis hinten um eine Lüge handelte.

Der Terrorabwehr-Spezialist der CIA hasste es, an diesen Ort zu kommen. Er bekam jedes Mal Gänsehaut. Ihn erinnerte die Umgebung an eine psychiatrische Klinik. Fehlten nur die vergitterten Fenster und bullige Aufseher, die sich in zu enge weiße Uniformen zwängten. Dieser Ort legte es bewusst darauf an, den menschlichen Verstand jeglicher Stimulation zu berauben. Er war so geheim, dass man sich nicht mal einen Namen für ihn ausgedacht hatte. Die überschaubare Zahl von Leuten, die von seiner Existenz wussten, sprach lediglich von ›der Fakultät‹.

Dieser Keller tauchte in keiner Bestandsliste auf, nicht mal im Sonderbudget der Geheimdienste, das dem Kongress jährlich zur Freigabe als Posten ›Sonstiges‹ untergejubelt wurde. Die ›Fakultät‹ war ein Relikt aus dem Kalten Krieg. Sie befand sich in der Nähe von Leesburg im US-Bundesstaat Virginia und glich von außen den übrigen Pferdehöfen, die es in der Gegend zuhauf gab. Versteckt auf 25 Hektar bestem hügeligem Ackerland. Die CIA hatte das Grundstück in den frühen 50ern gekauft, zu einer Zeit, als man die Agency noch an der langen Leine führte und ihr deutlich mehr durchgehen ließ als heutzutage.

Der Standort war einer von mehreren, an denen die CIA Überläufer aus dem Ostblock verhörte, gelegentlich auch Mitarbeiter aus den eigenen Reihen, die James Angleton ins Netz gegangen waren, dem berüchtigten paranoiden Genie der Agency, dessen Aufgabe darin bestanden hatte, auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges Spione aus den Rängen des US-Geheimdienstes zu entfernen. In diesem Verlies waren Menschen ziemlich hässliche Dinge angetan worden. Hierhin hätte man vermutlich Aldrich Ames verschleppt, falls man ihn vor dem FBI in die Finger bekommen hätte. Die Männer und Frauen, zu deren Aufgaben es gehörte, Langleys Geheimnisse zu schützen, hätten so gut wie alles für die Chance gegeben, diesem verräterischen Bastard Daumenschrauben anzulegen. Bedauerlicherweise verwehrte man ihnen die Gelegenheit.

Die Fakultät war kein angenehmer Ort, eher ein notwendiges Übel in einer Welt voller sadistischer Grausamkeiten und fehlgeleiteter, brutaler Männer. Das war Rapp durchaus bewusst, trotzdem gefiel es ihm nicht. Er war weder empfindlich noch zimperlich. Immerhin hatte er längst aufgehört zu zählen, wie viele Menschenleben auf seine Kappe gingen, und er erledigte das Töten so einfallsreich, dass es Bände über sein Talent sprach.

Er war ein moderner Auftragskiller, der in einem zivilisierten Land lebte, in dem man diesen Begriff nicht offen in den Mund nehmen durfte. Seine Heimat legte großen Wert darauf, sich von weniger kultivierten Nationen abzugrenzen. Als Demokratie, die individuelle Rechte und Freiheiten achtete. Als Staat, der es niemals geduldet hätte, dass einer seiner Bürger explizit dazu ausgebildet wurde, heimlich Menschen aus anderen Ländern zu beseitigen. Doch genau das war Rapp: ein moderner Killer, den man praktischerweise ›Agent‹ nennen konnte, um die Befindlichkeiten der hochkultivierten Entscheidungsträger in den Machtzentren von Washington zu schonen.

Hätten diese Entscheidungsträger von der Existenz der Fakultät erfahren, wären sie so empört gewesen, dass es am Ende auf die teilweise oder vollständige Auflösung der CIA hinausgelaufen wäre. Diese Skeptiker, die dem kapitalistischen Arm des amerikanischen Staatsapparats angehörten, wollten haarklein analysieren, was den Hass ausländischer Terroristen auf die USA lenkte, ohne zu merken, dass sie mit der Logik eines geldgierigen Anwalts, der einen Vergewaltiger verteidigt, an die Sache herangingen. Wenn eine Frau Minirock, ein sexy Top und High Heels trug, bettelte sie dann nicht regelrecht darum? Amerika war ein rüdes, arrogantes Land, geführt von selbstsüchtigen weißen Kolonialisten, die ungerührt Ressourcen weniger wohlhabender Nationen ausschlachteten – bettelten die nicht auch darum?

In ihrer engstirnigen Sichtweise hätte die Elite aus Washington diesen Bunker wohl als Folterkammer bezeichnet. Rapp hingegen wusste, wie Folter aussah. Dies hatte damit nichts zu tun. Hier ging es allenfalls um Nötigung, um Reizentzug, um Informationsgewinn. Von echter Folter konnte keine Rede sein.

Echte Folter fügte einem Menschen so viele unaussprechliche Schmerzen zu, dass er oder sie sich den eigenen Tod herbeisehnte. Da ging es um Quetschklemmen an den Eiern männlicher Gefangener, über die man Starkstrom in den Körper jagte. Es ging um tägliche Massenvergewaltigungen von Frauen, bis sie ins Koma drifteten. Darum, vor den Augen des Insassen dessen Frau und Kinder zum Geschlechtsverkehr zu zwingen oder ihn die eigenen Exkremente fressen zu lassen. Monströs, barbarisch, manchmal vollkommen nutzlos. Doch in den meisten Fällen belegte der Einsatz solcher Methoden, dass Menschen so gut wie alles sagten oder taten, nur damit der Schmerz aufhörte. Sie unterzeichneten Geständnisse, legten Pläne für Terrorakte offen, die es gar nicht gab, lieferten die eigenen Eltern ans Messer.

Im konkreten Fall wusste Rapp, dass der am Stuhl fixierte Mann auf der anderen Seite der Scheibe echte Folter aus eigener Erfahrung kannte. Die Organisation, für die er arbeitete, war berüchtigt für ihren harten Umgang mit politischen Gefangenen. Wenn jemand die volle Packung Grausamkeit verdiente, dann dieser widerwärtige Bastard, aber Rapp wusste, dass es noch andere Faktoren zu berücksichtigen galt.

Mitch hielt nichts von Folter. Nicht nur wegen der Auswirkungen auf die Person, die gequält wurde, sondern auch wegen dem, was sie mit demjenigen machte, der bestrafte und austeilte. Er wollte nicht die eigenen Abgründe ausloten, es sei denn, ihm blieb keine andere Wahl. Dummerweise näherten sie sich allmählich diesem Punkt. Leben standen auf dem Spiel. Zwei CIA-Agenten waren bereits tot, weil dieser Mistkerl ein doppeltes Spiel trieb, viele weitere Leben hingen in der Schwebe. Der nächste Schritt in einem teuflischen Plan stand unmittelbar bevor. Fand Rapp nicht bald heraus, worum es ging, starben Hunderte, vielleicht sogar Tausende unschuldiger Menschen.

Die Tür zum Beobachtungsraum öffnete sich. Ein Mann trat ein, etwa in seinem Alter. Er postierte sich an der Scheibe und musterte das Gegenüber in Handschellen durch tief in den Höhlen liegende braune Augen. Die Körperhaltung verriet eine gewisse klinische Distanziertheit. Elegant geschnittene Haare, der Bart perfekt getrimmt. Er trug einen dunklen, hochwertig geschnittenen Anzug und ein weißes Anzughemd mit Umschlagmanschetten sowie eine teure rote Seidenkrawatte. Dieses Outfit hatte er in doppelter Ausführung im Schrank hängen. Um den Gefangenen auf die falsche Fährte zu locken, trug er seit dessen Ankunft vor drei Tagen nichts anderes. Er hatte die Kleidungsstücke bewusst ausgewählt, um den Eindruck von Überlegenheit und Klasse zu vermitteln.

Bobby Akram gehörte zu den besten Verhörspezialisten der CIA. Ein pakistanischer Immigrant und Muslim, der fließend Urdu, Paschtu, Arabisch, Farsi und natürlich Englisch sprach. Akram hatte jedes Detail und jede Sekunde der Inhaftierung exakt gesteuert. Jedes Geräusch, jede Temperaturschwankung, Essensportion oder verabreichte Flüssigkeit folgte einer sorgfältig austarierten Choreografie.

Das Ziel bei diesem Gefangenen, eigentlich auch bei jedem anderen, bestand darin, ihn zum Reden zu bringen. Im ersten Schritt wurde er isoliert und jedes räumlichen und zeitlichen Orientierungspunkts beraubt, indem man ihn in eine Welt des Nichts verbannte, bis er förmlich um Stimulanz bettelte. Wenn es so weit war, warf ihm Akram eine Rettungsleine zu: Er begann ein Gespräch. Er ließ den anderen einfach drauflosquasseln, anfangs gar nicht unbedingt mit dem Ziel, ihm Geheimnisse zu entlocken. Das kam später. Um die Aufgabe sorgfältig und sauber zu erledigen, musste man eine Menge Zeit und Geduld mitbringen. Ein Luxus, den sie sich derzeit nicht leisten konnten. Die Informationen waren zeitkritisch, daher galt es, den Prozess zu beschleunigen.

Er wandte sich an Rapp und meinte: »Es sollte nicht mehr lange dauern.«

»Das will ich verdammt noch mal hoffen«, knurrte der. Geduld gehörte definitiv nicht zu seinen vielen Stärken.

Akram lächelte. Er hatte großen Respekt vor dem legendären CIA-Agenten. Sie kämpften in diesem Krieg gegen den Terrorismus beide an vorderster Front, hatten einen gemeinsamen Feind. Für Rapp ging es darum, Unschuldige vor einer wachsenden Bedrohung zu schützen. Für Akram ging es darum, seine geliebte Religion vor...