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The Gray Man - Deckname Dead Eye - Thriller

The Gray Man - Deckname Dead Eye - Thriller

Mark Greaney

 

Verlag Festa Verlag, 2021

ISBN 9783865529190 , 592 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

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4,99 EUR


 

1

Auf einer rutschigen Kreuzung bog der Lincoln scharf nach links ab; die Reifen quietschten, der Gegenverkehr reagierte mit wütenden Lichthupen. Dann raste er den Crescent Place entlang, passierte ein kleines unbeleuchtetes Schild mit der Aufschrift ›Townsend Government Services‹, quetschte sich zwischen zwei schmiedeeisernen Torflügeln hindurch, die sich elektronisch gesteuert gerade erst öffneten, und schnurrte eine gewundene Zufahrt empor, eine Allee kahler Kirschbäume, bis zu einem pfirsichfarbenen, von Scheinwerfern angestrahlten Backsteingebäude. Ohne ein Wort zum Fahrer stieg Lee Babbitt aus und hetzte im kalten Regen die Steinstufen zum Eingang empor und dort an einem schlanken Mann im Sakko vorbei, der ihm die Tür aufhielt.

Im runden, marmorgetäfelten Foyer erwarteten ihn zwei weitere junge Männer in Zivil. Allerdings trugen diese einen Militärhaarschnitt und Automatikwaffen von Heckler & Koch an Schultergurten. Bevor auch nur ein Wort fiel, kam ein Mann Ende 30, etwa ein Jahrzehnt jünger als Babbitt, den langen Gang herbeigeeilt, der zur Gebäuderückseite führte. Er trug eine Strickjacke und Cordsamthosen, und an einer Kette um seinen Hals baumelten mehrere laminierte Erkennungsmarken und Schlüsselkarten.

Babbitt erreichte den Jüngeren in der Mitte des Foyers, und die Marmortäfelung warf Echos seiner Stimme zurück. »Ist es so weit?«

»Es passiert in diesem Moment«, bestätigte der Mann in der Strickjacke.

»Der Angriff erfolgt jetzt?«

»Der Angreifer ist gerade auf dem Weg zum Zielobjekt.«

»Nur einer? Ein einzelner Mann will diese verdammte Festung angreifen?«

»Jawohl, Sir.«

»Und ist er es? Unser Mann?«

Jeff Parks nahm seinen Chef am Arm und drängte ihn mit schnellem Schritt in den Gang hinein. »Davon gehen wir aus.«

»Das sollten Sie schon genau wissen«, schnaubte Babbitt im Gehen, löste seine Krawatte und öffnete den obersten Hemdknopf an seinem feisten Hals. »Da draußen ist mehr als nur ein Arschloch unterwegs, das Gregor Sidorenko ein Messer ins Genick stechen möchte.«

Zierleisten aus gebeiztem Kirschholz zogen sich den Gang entlang, und erlesene Bilder des US-amerikanischen Westens an den Wänden wurden dezent beleuchtet. Aquarelle von Russell, die Cowboys bei einem Viehtrieb zeigten; würdevolle Indianerporträts von George Catlin; zwei Wüstenlandschaften von Frederick Remington im Wert von Hundertausenden von Dollars nebst einer Büffel-Bronzestatue von Remington, die auf einem Beistelltischchen von einem mehrarmigen Leuchter angestrahlt wurde.

Als sie den Korridor entlangeilten, streifte Babbitt sich das schweißnasse Jackett ab, hängte es sich über den Arm und fragte: »Wie haben wir es mitgekriegt?«

»Eins unserer UAVs war gerade auf einem Kalibrierungsflug. Wir haben da heute Abend keinerlei Aktivitäten erwartet. Immerhin ist Samstag. Am Zielort war eine Party in vollem Gang, bis vor etwa einer Stunde, da hielten sich also dreimal so viele Wachleute auf wie sonst. Außerdem ist das Wetter beschissen und Mondlicht gibt’s frühestens wieder in zwei Tagen.«

»Stimmt.«

»Dem Piloten dieser ScanEagle-Drohne sind Bewegungen ungefähr eine halbe Meile vor der Küste aufgefallen. Wir haben die Signatur eine knappe Minute lang beobachtet und kamen zu dem Schluss, dass es sich höchstwahrscheinlich um einen einzelnen Angreifer handelt, der sich auf Sids Gelände zubewegt.«

»Ein Schnellboot?«

»Negativ.«

»Taucher? Das Wasser kann höchstens fünf, sechs Grad …«

»Er schwimmt nicht.«

»Aber wie …«

Vor einer Tür hielt Parks inne und blickte mit einem Grinsen zu seinem Chef. »Diesen Scheiß müssen Sie sich selbst ansehen.«

Parks zog eine Karte von seiner Halskette durch einen Scanner neben der schweren Eichentür, die sich sofort zu einer Wendeltreppe öffnete. Parks folgte seinem Chef hinab. Die Lacklederschuhe des älteren Mannes klackerten voraus. Am Fuß der Treppe begann ein weiterer Korridor, der in die Gegenrichtung zurückführte. Obwohl die Wände wie im oberen Korridor dekoriert waren, war dieser hier schmal, zweckmäßig und nur schwach beleuchtet.

Die beiden Männer liefen ihn eilig entlang und passierten dabei mehrere illuminierte Schaukästen verschiedener Größe. In den ersten davon befanden sich Ferrotypien und Ambrotypien von bärtigen Männern in schwarzen Mänteln und Hüten mit Flinten in der Hand, die neben aufgestellten Särgen posierten; aus ihren Fichtenholzkisten glotzten die toten Männer den Fotografen mit münzenbedeckten Augen an. Neben diesen frühen historischen Fotos hingen Artefakte aus dem Wilden Westen – verblasste Telegramme, einschüssige Handfeuerwaffen, Steigbügel, Handschellen, schließlich sogar ein zerrissenes und mit uraltem schwarzen Blut beflecktes Herrenhemd.

Babbitt und Parks ignorierten die Schaukästen; schon unzählige Male waren die beiden an ihnen vorbeigegangen. »Also haben wir niemanden einsatzbereit in der Nähe?«, fragte Babbitt.

»Ich habe Verbindung mit Trestle Actual aufgenommen, hab ihm gesagt, er soll seine Jungs innerhalb von 20 Minuten zusammentrommeln und abmarschbereit machen. Sie sind keine 50 Kilometer entfernt in St. Petersburg, eigentlich zur Erholung, aber keine Bange. Das UAV wird unser Zielobjekt selbst während der Exfil nicht aus den Augen verlieren. Wir haben ihn.« Er lächelte zufrieden. »Wir werden ihn erwischen.«

Zu ihrer Linken präsentierte eine Vitrine nun einen falschen Bart und Bündel von D-Mark-Scheinen, die man einem serbischen Kriegsverbrecher abgenommen hatte; zu ihrer Rechten dagegen ein Foto von zwei breit grinsenden Männern mit erhobenem Daumen, die Augenpartie überdeckt von schwarzen Balken, die neben einem gefesselten, erschöpft dreinblickenden Manuel Noriega im Transportraum eines Flugzeugs standen.

Kurz vor dem Ende des Ganges prangte eine goldene Automatikpistole aus einem von Saddams Palästen in einer Vitrine, daneben eine Reihe Fotos von weiteren Männern und sogar einigen Frauen, die Augenpartien auch wieder mit schwarzen Balken unkenntlich gemacht, die um Männer mit Säcken über dem Kopf und Handfesseln gruppiert waren.

In diesem Korridor wurde die geheime Geschichte dieser Organisation ausgestellt, die seit 150 Jahren Verbrecher jagte. Und obwohl die beiden Männer, die gerade diesen Gang entlangeilten, keinen Augenblick daran dachten, rechneten sie doch fest damit, dem Ensemble der Ausstellungsstücke demnächst ein weiteres hinzufügen zu können – ein Andenken an den erfolgreichen Abschluss ihrer aktuellen Menschenjagd.

Ein hell erleuchteter Alkoven markierte das Ende des Korridors, wo ein weiterer Mann mit Militärhaarschnitt neben einem kleinen Tisch in bequemer Haltung Wache stand. An seinem Schultergurt hing eine halbautomatische Heckler & Koch. Rechts von ihm war eine schwere Stahltür in die Wand eingelassen.

Auf einem kleinen Türschild stand: KONTROLLZENTRUM – BIOMETRISCHE ZUGANGSSPERRE.

»Guten Abend, Mr. Babbitt. Hübscher Anzug«, empfing ihn der Wachposten.

Lee Babbitt legte seine Hand auf einen kleinen Scanner in der Wand neben der Tür. »Al«, grüßte er den Mann knapp, während er darauf wartete, dass der biometrische Fingerabdruckscanner seine Identität bestätigte.

»Ein Wort von Ihnen, und wir legen los.«

Ungeduldig zuckte Babbitt mit den Schultern. »Diesmal ist Trestle am Ball, Al. Jumper sitzt auf der Reservebank. Ihre Jungs kommen nächstes Mal dran.«

Aus dem Inneren des Raumes ertönte ein gedämpftes Klicken, und Al langte nach der Türklinke, zog die Tür auf und ließ Babbitt und Parks eintreten.

Als sie drin waren, schob der Wachposten die Tür von außen zu, und das massive Schloss verriegelte sie wieder automatisch.

Der Raum war nur von Computermonitoren und Video-Bildschirmen erleuchtet. Ein drei Meter breiter und gut zwei Meter hoher Plasmabildschirm nahm die Hälfte der gegenüberliegenden Wand ein; links und rechts reihten sich kleine Arbeitsplätze mit Glaswänden um eine freie Mittelfläche herum. Eine junge Frau in Jeans und einem Georgetown-Pulli tauchte aus dem Zwielicht auf und reichte Babbitt und Parks je ein kabelloses Headset, das sie beide aufsetzten. Stille erfüllte den Raum; auf den Bildschirmen allerdings tat sich so einiges. An Arbeitstischen saßen etwa ein Dutzend Männer und Frauen, die über Kopfhörer mit ihren jeweiligen Computern und Kommunikationsinstrumenten verbunden waren.

Während Babbitt noch sein Headset zurechtrückte, Kopfhörer und Mikrofon arrangierte, fragte er: »Zeit bis zum Eintreffen am Ziel?«

In seinem Headset ertönte eine weibliche Stimme: »In zehn Sekunden an Land. In weniger als fünf Minuten ist er am X.«

Babbitt starrte auf den großen Plasmabildschirm. In der Mitte war ein Infrarotbild zu sehen, das umgeben war von Digitalanzeigen verschiedenster Daten. Höhenangaben, Temperaturen, Luftdruck, ein Kompass, Windgeschwindigkeiten.

Er lehnte sich vor, konzentrierte sich auf das Bild der Infrarotkamera.

Die weibliche Stimme aktualisierte ihre Meldung. »An Land. Ortszeit null drei Punkt fünf sechs.«

Vom kalten Meerwasser hatte sich das darüber hinweghuschende Zielobjekt klar abgezeichnet, nun über festem Land wirkte der Umriss unschärfer. Jemand an den Geräten betätigte einen Kippschalter, und das Infrarotbild wurde zu seinem Negativ. Das grellweiße Objekt in Bewegung wurde grellschwarz, die Erdoberfläche darunter verwandelte sich in hellere Grautöne, und mit einem Mal...