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Exploratives Lernen - Der persönliche Weg zum Erfolg. Eine Anleitung für Studium, Beruf und Weiterbildung

Exploratives Lernen - Der persönliche Weg zum Erfolg. Eine Anleitung für Studium, Beruf und Weiterbildung

Verena Steiner

 

Verlag vdf Hochschulverlag AG, 2021

ISBN 9783728140654 , 296 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz DRM

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14,99 EUR


 

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Exploratives Lernen beginnt mit Neugier

Es macht Freude, einem Baby beim Erkunden seiner kleinen Welt zuzuschauen. Wie es voller Tatendrang zur Zimmerlinde krabbelt und mit offenem Mund das Blätterwerk bestaunt. Wie es sich dann dem Pflanzentopf zuwendet und eifrig die braune Erde untersucht. Und wie es am Ende vor Freude jauchzt, wenn es die dunklen Spuren sieht, die seine Händchen auf dem Teppich hinterlassen.

Doch jäh wird die Entdeckungslust von der Mutter unterbrochen, das Krabbelkind wird gepackt und ins Bad getragen. Ein paar Augenblicke später ist es etwas konsterniert und mit sauberen Händchen zurück auf seiner Decke. Leise Erinnerungen steigen in einem auf, und man ahnt die Sehnsucht des Kleinen, die große Welt außerhalb der eigenen Spielecke zu entdecken.

Ich habe keine besondere Begabung, sondern bin nur leidenschaftlich neugierig.

ALBERT EINSTEIN

Später, wenn das Kind längst sprechen gelernt hat, zeigt sich diese Sehnsucht in seinen Fragen. Doch irgendwann nimmt bei vielen Menschen die kindliche Neugier ab. Allerdings verlieren nicht alle den Drang nach Erkenntnis, manche bewahren sich die Fähigkeit zum Staunen. Mihaly Csikszentmihalyi, der durch seine Flow-Theorie bekannt geworden ist (siehe Seite 79) untersuchte anfangs der 1990er-Jahre in einem mehrjährigen Projekt die menschliche Kreativität.2 Insgesamt 91 hoch kreative Persönlichkeiten wurden dabei interviewt, darunter zahlreiche Nobelpreisträger, bekannte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Poeten, Musiker, Historiker sowie Künstlerinnen und Künstler. Csikszentmihalyi fand unter den Merkmalen, die solcherart kreativen Menschen zugeschrieben werden können, zwei Tendenzen: leidenschaftliche, beinahe besessene Ausdauer und stark ausgeprägte Neugier und Offenheit.

Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang auch die Aussage, die ein Freund von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg über diesen machte: »He is a sponge in terms of learning. He has a higher ask-to-talk ratio than anyone I know– Er ist ein Schwamm, was das Lernen anbelangt. Er hat ein höheres Fragen-zu-Sprechen-Verhältnis als irgendjemand, den ich kenne.«3

Geistesgrößen aus früheren Zeiten wie Leonardo da Vinci, Isaac Newton, Georg Christoph Lichtenberg, Johann Wolfgang von Goethe, Louis Pasteur oder Marie Curie zeichneten sich ebenfalls durch Leidenschaft und eine ausgeprägte Neugier aus. Nicht allen gelang es indes, die Neugier im Zaum zu halten. Goethe mit seinem unbändigen Forschungsdrang zum Beispiel beschreibt seine Neugier in der »Italienischen Reise« gar als Gespenst.`4 Seinem Eintrag vom 16. April 1787 lässt sich entnehmen, dass er im öffentlichen Garten von Palermo sein Pensum in der »Odyssee« gelesen und anschließend den Plan für »Nausikaa« weiter durchdacht hat. Doch tags darauf hat ihn das Gespenst wieder einmal gepackt:

Heute früh ging ich mit dem festen, ruhigen Vorsatz, meine dichterischen Träume fortzusetzen, nach dem öffentlichen Garten, allein eh’ ich mich’s versah, erhaschte mich ein anderes Gespenst, das mir schon diese Tage nachgeschlichen.

Die vielen Pflanzen, die ich sonst nur in Kübeln und Töpfen, ja die größte Zeit des Jahres nur hinter Glasfenstern zu sehen gewohnt war, stehen hier froh und frisch unter freiem Himmel, und indem sie ihre Bestimmung vollkommen erfüllen, werden sie uns deutlicher. Im Angesicht so vielerlei neuen und erneuten Gebildes fiel mir die alte Grille wieder ein, ob ich nicht unter dieser Schar die Urpflanze entdecken konnte. Eine solche muss es denn doch geben! Woran würde ich sonst erkennen, dass dieses oder jenes Gebilde eine Pflanze sei, wenn sie nicht alle nach einem Muster gebildet wären?

Kennen Sie dieses Gespenst ebenfalls? Können auch Sie Ihre Neugier manchmal nur schwer bändigen? Kommen Sie allzu oft vom Thema ab? Neigen Sie zur Verzettelung? Nach einem Abstecher in die Verhaltensbiologie werde ich auf diese Problematik zurückkommen.

Der Sinn der Neugier aus verhaltensbiologischer Sicht

Aus verhaltensbiologischer Sicht ist Neugier ein Trieb, der bei allen höheren Tieren beobachtbar ist.5 Obwohl die junge Katze der Nachbarin noch sehr scheu ist, versucht sie trotzdem immer wieder, in meine Wohnung einzudringen, um sie zu erkunden.

Beim Menschen ist das Neugierverhalten, das heißt das Erkunden, Erforschen und Ausprobieren – das Explorieren –, besonders ausgeprägt. Befriedigt wird der Trieb durch Aha-Erlebnisse, Entdeckungen und neue Erkenntnisse.

Doch warum sind solche erhellenden Augenblicke so befriedigend? Die Verhaltensbiologie erklärt es mit einem Zugewinn an Sicherheit. Oder andersherum gesagt: Neugier hilft, Unsicherheiten und Ängste abzubauen. Nicht nur die scheue junge Katze kann dank der Neugier ihre Ängstlichkeit überwinden. Auch wir können unsere Neugier nutzen, um Unsicherheiten, Befürchtungen und andere Hemmnisse anzugehen und uns am Ende sicherer zu fühlen.

Situationen, die uns ängstigen oder hemmen, gibt es zuhauf: der erste Tag an der Uni, Prüfungen, Vorstellungsgespräche, das Ansprechen einer Person, die uns interessiert, oder die erste Lektion im Yoga-Kurs. Oft sind wir im Hinblick auf solche Situationen befangen. Wir sehen nicht über den eigenen Tellerrand hinaus und sind von Befürchtungen oder gar Versagensängsten geplagt. Statt uns Mut zu machen, reagieren wir mit Zaghaftigkeit.

In einer solchen Situation können Sie versuchen, Ihren Blickwinkel von den Befürchtungen wegzunehmen und sich zu öffnen – sich neugierig auf das Kommende zu machen. Fragen Sie sich: »Wie verändern sich wohl meine Gefühle im Verlaufe der Prüfung? Wie verhält sich der Puls? Die Atmung? Die Konzentration? Welche positiven und negativen Überraschungen kommen auf mich zu? Wie meistere ich diese? Gibt es Erfolgserlebnisse? Wie fühle ich mich am Ende der Prüfungsstunde? Welche neuen Erfahrungen, die mir später nützlich sein können, kann ich machen?«

Mit solchen Fragen verschieben Sie den Fokus automatisch weg von den Befürchtungen hin zu den Erwartungen. Sie öffnen damit Geist und Gemüt, sorgen für eine positive Einstellung und machen sich neugierig auf die neuen Erkenntnisse, die am Ende unweigerlich herauskommen werden.

Zur Illustration eine kleine Geschichte. Mein Mann ist jeweils der Erste, der meine Texte kritisch liest und mir Rückmeldung gibt. Nachdem er dieses Kapitel über den verhaltensbiologischen Sinn der Neugier gelesen hatte, wollte er einkaufen gehen. Dazu hatte er sich bereits am Vortag vorgenommen, statt des bequemeren Autos lieber wieder einmal das Fahrrad zu nehmen. Doch dieser Vorsatz geriet ins Wanken, und er kam in Versuchung, mit dem Auto hinzufahren. Er besann sich dann auf die Fragen im Text und übertrug diese auf die Fahrt mit dem Fahrrad: »Wie wird sich die Temperatur draußen anfühlen? Werde ich den blühenden Holunder an der Ecke riechen? Wie wird es bei der kurzen Steigung mit dem Treten gehen?« Seine Neugier war geweckt, er nahm das Fahrrad und kam ganz begeistert nach Hause zurück. Seine Fragen haben ihn nicht nur die bequemere Auto-Variante vergessen lassen; sie haben ihm auch die Sinne geöffnet, und er hat die Eindrücke auf der Fahrt bewusster wahrgenommen und genossen.

Neugier und geistige Offenheit

Die Neugier der explorativen Lernerinnen und Lerner hat wenig mit Sensationslust oder der Gier nach Neuigkeiten zu tun. Es ist vielmehr ein Entdeckungs- und Erkenntnisdrang, ein tiefes Bedürfnis, sich selbst und die Welt besser zu verstehen, dazuzulernen und den Lernprozess kreativer anzugehen.

Diese Neugier erfordert geistige Offenheit, was für manche Menschen schwierig ist. Sie sind zwar neugierig, doch wenn sie von einer Idee hören, die nicht ganz in ihr Denkschema passt, wird sie abgelehnt. Wer in einer Sitzung einen neuen Vorschlag bringt, kann ein Liedchen davon singen: Man sieht sich sogleich einem Dutzend Argumente ausgesetzt, warum die Idee nicht funktionieren kann. Wie kommt das? Neue Ideen können anstrengend sein, weil man seine geistige Bequemlichkeitszone verlassen, sich in etwas Neues hineindenken und umdenken muss. Für manche Menschen sind neue Ideen oder andere Ansichten wie schlechte Träume: Sie rufen Ängste hervor und sind schwierig zu verstehen.

Ganz egal, woher eine Idee stammt: Versuchen Sie, Neuem und Anderem gegenüber möglichst unvoreingenommen zu sein. Wenn Sie geistig offen sind, kann Neues und Andersartiges unglaublich inspirierend sein. Es ist kein Zufall, dass Mihaly Csikszentmihalyi bei seiner Untersuchung hoch kreativer Persönlichkeiten neben der Neugier auch die Offenheit als wichtiges Charakteristikum erwähnt. Kreative Menschen haben einen offenen Geist. Sie beherrschen die Kunst, gute Ideen als solche zu erkennen, und können sich dadurch auch Erfahrungen anderer Menschen zunutze machen.

Geistig offen zu sein heißt indes nicht, gleich jede Idee willkommen zu heißen und Neuerungen unkritisch zu übernehmen. Es muss längst nicht alles Neue besser sein. Man darf Neues ruhig verwerfen und eine andere Meinung haben. Wichtig ist jedoch der Respekt vor Andersartigem. Lassen Sie andere Ideen gelten, auch wenn sie Ihnen persönlich nicht gefallen.

Geistige Offenheit gilt im Übrigen nicht nur für Neues, sondern genauso für Altbekanntes. Versuchen Sie, längst Vertrautes so zu betrachten, als wäre es das erste Mal. Selbst wenn Sie ein Kapitel schon mehrere Male gelesen haben, werden Sie beim Wiederlesen versteckte Anhaltspunkte finden und Neues entdecken, sofern Sie ganz bewusst danach Ausschau halten. Und für ein altes Problem lässt sich oft durch eine offenere Betrachtungsweise ganz unvermittelt doch noch eine Lösung...