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Die Tramps vom Kansas River - Ein neuer Roman mit Winnetou und Old Shatterhand

Die Tramps vom Kansas River - Ein neuer Roman mit Winnetou und Old Shatterhand

Reinhard Marheinecke

 

Verlag Karl-May-Verlag, 2021

ISBN 9783780216311 , 320 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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14,99 EUR


 

1. Mord im Hotel


Mehrere Wochen hatte ich bei Winnetou im Pueblo am Rio Pecos zugebracht. Es war eine sehr harmonische Zeit gewesen. Ich hatte den Eindruck, der ganze Stamm, ob Alt, ob Jung, freute sich, wenn ich eine Zeitlang bei ihnen verweilte. Die Kinder hingen ständig wie Kletten an meinen Beinen und hätten am liebsten den lieben langen Tag Geschichten von mir erzählt bekommen, wenn mein Blutsbruder mich nicht des Öfteren von ihnen befreit hätte.

Die Zeit meines Besuchs war gut gewählt gewesen, denn wenige Wochen zuvor hatte Winnetou den geheimnisvollen, uralten Medizinmann Tatellah-Satah in dessen Felsenstadt, die ‚Schloss‘ genannt wurde, besucht. Da hätte ich sowieso nicht mitgedurft, denn der große Schamane, dessen Name so viel wie „Tausend Sonnen“, „Tausend Jahre“ oder „Bewahrer der großen Medizin“ bedeutet, gab mir die Mitschuld am Tod Nschotschis.

Der Mord an Winnetous jüngerer Schwester hatte Tatelah-Satah besonders tief getroffen, da er in der jungen Apatschin die Trägerin aller Wünsche und Hoffnungen der roten Völker gesehen hatte. Mit ihrem Tod war dieser Traum wie eine Seifenblase zerplatzt.

Als es für mich Zeit war, aufzubrechen und von meinen Freunden Abschied zu nehmen, begleitete mich Winnetou wie so oft zuvor bis nach St. Louis. Dort übernahm er meinen Hatatitla und kehrte dann umgehend mit beiden Rappen zu den Weidegründen der Mescaleros zurück. Für meinen Prachthengst freute es mich, dass er dort auf den fruchtbaren Prärien die Freiheit im Kreis seiner Artgenossen genießen konnte.

Ich beabsichtigte, von St. Louis auf dem schnellsten Weg in die Heimat nach Radebeul zurückzukehren und dort erst einmal einige meiner letzten Reiseerlebnisse zu Papier zu bringen, denn mein Verleger scharrte schon lange mit den Hufen. Da meine nächste Reise dann wieder zu Winnetou und nicht etwa zu Hadschi Halef Omar in den Orient oder wer weiß wohin sonst in der Welt führen würde, beschloss ich, Henrystutzen und Bärentöter diesmal von meinem väterlichen Freund und Gönner Henry verwahren zu lassen. Er würde die Gewehre mehr als gut pflegen, dessen war ich mir gewiss.

Ich war in all den Jahren zu einem Ersatzsohn für den alten Mann geworden, war sein Sohn Bill doch bei einem Überfall vor langer Zeit ums Leben gekommen. Meine Ähnlichkeit mit dem Verstorbenen hatte sicherlich einiges zu Henrys Wohlwollen mir gegenüber beigetragen.

Ich nächtigte nicht zum ersten Mal in einem preiswerten Boardinghouse1 in der Market Street. Zwar gab es immer ein wenig Gezänk mit dem alten Henry, der das nicht zugeben wollte, hatte er doch schließlich ein großes Haus, das sowohl sein Geschäft als auch die Privatwohnung beherbergte, aber ich blieb da stur. Ihm als alleinstehendem Witwer, der zudem noch bis über beide Ohren in Arbeit versank, wollte ich einen Logierbesuch nun wahrlich nicht jedes Mal zumuten. Natürlich brachte ich einige Stunden des Tages in Henrys Laden zu, wo er zumeist kostbare Gewehre für Kunden reparierte, die sein guter Ruf oft von weither zu ihm brachte. Neue Büchsen stellte er schon länger nicht mehr her. Bei der kniffligen Arbeit konnte Henry sich aber gern und gut mit mir unterhalten, es störte seine Konzentration nicht im Geringsten. Ich glaube, ohne diese permanente Tätigkeit, die ihn stark forderte, aber auch immer wieder Tag für Tag mit Menschen zusammenbrachte, wäre der alte Witwer längst an Herzeleid gestorben.

Zumeist lud ich Henry nach seinem Tagewerk in ein Restaurant zum Essen ein, was dann wieder Diskussionen hervorbrachte, wer denn nun mit dem Bezahlen der Speisen an der Reihe sei. Und wehe, ich versuchte, zweimal hintereinander dieses Amt zu übernehmen! Mr. Henrys Gedächtnis war einfach phänomenal. Es hätte nur noch gefehlt, dass er mir das Datum und die genaue Uhrzeit des letzten Restaurantbesuchs nebst der kompletten Speisefolge vorgehalten hätte.

Auch heute hatte es dies Geplänkel um das Bezahlen wieder einmal gegeben. Aber das Steak in dem kleinen deutschen Lokal in der Maine and Pine Street war dafür einfach nur fantastisch gewesen, wenn auch mindestens ein bis zwei Nummern zu groß, sodass ich nach der Verabschiedung von Henry noch bei einer Verdauungszigarre einen ausgiebigen, ausgedehnten Spaziergang am Hafen, entlang des Mississippi, unternahm.

Im schummrigen Licht der Laternen lagen drei große Raddampfer hintereinander am Kai. Ein beeindruckendes Bild. Besonders die „Robert E. Lee“ interessierte mich, denn sie war erst 1866 für 200.000 Dollar in New Albany, Indiana, gebaut worden. Der Raddampfer sollte besonders schnell sein, da er zwei Seitenräder besaß. Rasch hatte das Schiff im Volksmund einen Spitznamen erhalten: „Monarch of the Mississippi“. Der Dampfer konnte sage und schreibe 5.741 Ballen Baumwolle laden. Seine Kabinen, Essens- und Aufenthaltsräume sollten unglaublich luxuriös eingerichtet sein, leider konnte ich die von außen natürlich nicht einsehen. Vor der „Robert E. Lee“ lag im Hafenbecken der Raddampfer „Bailey Gatzert“ und hinter ihr die „Far West“.

Nur wenige Menschen waren hier am Hafen zu so später Stunde noch unterwegs. Die Wachen auf den Mississippi-Steamern dösten schläfrig vor sich hin. Ein Seemann auf dem zweiten Schiff hob kurz den Blick, als ich an dem schneeweißen Rumpf vorbeiflanierte, um seinen Kopf schnell wieder träge auf die Brust sinken zu lassen.

Ich war gerade erst auf meinem Fremdenzimmer in der Market Street angelangt, um mich zur Nacht umzukleiden, als es plötzlich ganz aufgeregt an meine Tür klopfte. Ich sah nicht auf meine Taschenuhr, aber es durfte jetzt so kurz nach Mitternacht sein.

Ich öffnete, nicht wenig überrascht, Mr. Henry plötzlich wieder vor mir stehen zu sehen, hatten wir uns doch erst vor wenigen Stunden voneinander vor seinem Ladenlokal verabschiedet.

Ohne Begrüßung jammerte der Alte los:

„Oh, ein großes Unglück ist geschehen, Charley.“

„Was ist denn passiert? Ihr seid ja noch ganz aus der Puste.“

„Stellt Euch nur vor, mein alter Freund, Frank Gorman, wird des Mordes beschuldigt.“

„Ach, lebt dieser Mr. Gorman auch hier in St. Louis?“

„Nein, seine Familie ist in Jackson, in Mississippi, ansässig, aber geschäftlich kommt er dreibis viermal jährlich nach St. Louis. Vor vielleicht fünfzehn Jahren habe ich den guten Frank kennengelernt, als er einen 1849er Volition Repeater, ein Repetiergewehr mit einem unter dem Lauf liegenden Röhrenmagazin, das ein gewisser Walter Hunt gebaut hat, bei mir zur Reparatur brachte. Naja, und ich hatte den Tag nicht viel zu tun…“

„Da habt Ihr euch prächtig mit Mr. Gorman bei der Arbeit unterhalten.“

„Stimmt, und daraus ist schnell eine dicke Freundschaft geworden, die bis heute gehalten hat. Bei den meisten Themen sind wir der gleichen Meinung, was uns schon oft überrascht hat. Man könnte sagen, es ist so etwas wie eine Art Seelenverwandtschaft. Und nun beschuldigt man ihn, im Palace Hotel in der Olive Street seine Frau umgebracht zu haben. Nie und nimmer hat Frank das getan, mein Bester. Alles, alles, aber einen Mord traue ich dem guten Frank einfach nicht zu.“

„Ist Euer Freund schon verhaftet worden?“

„Ja, die Polizei hat kurzen Prozess gemacht. Nach wenigen Minuten war die Untersuchung schon abgeschlossen. Und nun sitzt der arme Teufel hinter Gittern und versteht die Welt nicht mehr. Könnt Ihr Euch nicht des Falles einmal annehmen und den Tatort unvoreingenommen begutachten, Charley? Oft sehen vier Augen doch mehr als zwei. Außerdem verfügt Ihr über den nötigen gesunden Menschenverstand, versteht Euch auf die menschliche Natur und habt ein Urteilsvermögen, das seinesgleichen sucht!“

„Na, alter Freund, lobt mich hier nicht gar so über den grünen Klee; aber natürlich schaue ich mir gern mal den vermeintlichen Tatort an.“

Ich zog nur rasch mein Jackett über und dann brachen wir schon auf. Selten habe ich den alten Henry in so einem schnellen Schritt die Straßen hinablaufen sehen. Die Sorge um seinen Freund trieb ihn sichtlich an.

Unterwegs erzählte er mir genauer, was denn vorgefallen war:

„Ihr müsst wissen, dass Mrs. Gorman, genauer Mrs. Charlotte Gorman, zuweilen an seltsamen Angstzuständen litt. Ja, Frank erzählte mir einst, dass sie sich manchmal richtiggehend verfolgt fühlte.“

„Sie litt an Verfolgungswahn?“

„Ja, ich denke schon, dass man das so sagen kann; aber das war noch nicht alles, Charley. Mein Freund erzählte mir auch, dass sie es in größeren Menschenmengen nicht aushalten konnte…“

„…also Platzangst hatte.“

„Genau. Und zuhause fühlte sie sich oft so unsicher,...