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Das Geheimnis des Lamassu - Karl Mays Magischer Orient, Band 9

Das Geheimnis des Lamassu - Karl Mays Magischer Orient, Band 9

Jacqueline Montemurri, Nina Blazon (Epilog), Thomas Le Blanc

 

Verlag Karl-May-Verlag, 2021

ISBN 9783780214096 , 480 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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13,99 EUR


 

Erstes Kapitel


Ein trauriger Empfang


Es war kalt.

Obwohl es bereits später Nachmittag war, hatten wir an diesem Tag die Sonne noch nicht gesehen. Sie war beständig hinter einem nassen und alles durchdringenden eisigen Nebel versteckt geblieben. Ich vermochte vor uns einige Hügel in diesem fremden Nordengland zu erahnen, die im Sommer sicher grün, jetzt aber von einem grauen Weiß überzogen waren. Feinste, halbgefrorene Wassertropfen in der Luft verschleierten die Aussicht und ließen die kargen Wiesen und Wälder zu einem bleifarbenen Brei verschmelzen. In den Tälern zwischen den Hügeln verdichteten sich die Tröpfchen zu Nebelbänken, die von der untergehenden Sonne langsam rötlich verfärbt wurden, fast wie Blutflecken auf einem grauen Teppich.

Blut passte auch zu dieser Gegend. Denn links und rechts unseres Weges kroch die verfallene Mauer des Hadrianswalls über die niedrigen runden Bergrücken gleich einem steinernen Lindwurm. Hier hatten Völker gekämpft, Tausende ihr Leben gelassen. Hier waren einst die Caledonier und die Römer, die Pikten, die Gälen, die Sachsen, die Angeln und die Wikinger aufeinandergetroffen, hatten für die Herrschaft über dieses Land ihr Leben eingesetzt und hatten die Hügel mit ihrem Blut getränkt. Hier waren Heldensagen entstanden, und doch hatte nur der schmutzige, einsame Tod gewütet. Und der nach vielen Jahrhunderten immer noch sichtbare Wall war bis heute die Grenze zwischen Engländern und Schotten geblieben, die nie so recht zu Briten geworden waren.

Die Kälte zog durch unsere Kleidung, die im Kaukasus tiefere Temperaturen abgewehrt hatte, aber die Feuchtigkeit des Nebels ließ das Leder klamm und steif werden, und durch den langsamen Trott der Pferde bewegten wir uns zu wenig, um uns selbst aufwärmen zu können. Mein Mantel und meine Handschuhe waren von einer glitzernden Schicht gefrorener Nebeltropfen überzogen.

Der sonst so fröhliche Halef zeigte Ungeduld und Missmut.

„Wie kann man nur in einem solch kalten und nassen Land leben, Sihdi?“

„Es ist hier nicht immer so. Aber du hast Recht, wir haben uns offenbar die falsche Zeit ausgesucht, Sir Davids Heimat kennenzulernen.“

Der Boden war noch kälter als die Luft.

Die Pferde bewegten sich müde und unsicher auf dem hartgefrorenen Untergrund. Teilweise war er mit verharschtem Schnee bedeckt, sodass wir Unebenheiten nicht sehen konnten und Löcher fürchteten, in denen die Pferde sich ihre Beine brechen konnten. Deshalb lenkten wir sie ein Stück den Wall entlang, bis wir einen Durchgang fanden, den die Tiere bewältigen konnten. Unser Weg führte uns nun weiter gen Süden. Endlich tauchten Mauern mit Zinnen und Türmen im Nebel auf. Wir hatten Lindsay Castle erreicht. Über einem der Giebel begrüßte uns das Banner mit einem Löwen.

„Was hat das zu bedeuten?“ Halef sah angespannt zum Schloss.

Ich folgte seinem Blick und gewahrte, dass der Löwe auf der Flagge auf dem Kopf stand. Das Tuch war zu sanften Wellen geformt und anscheinend steifgefroren, denn es bewegte sich nicht. Die Erkenntnis ließ mich innerlich zusammenzucken.

„Es heißt, dass etwas Schlimmes passiert sein muss“, antwortete ich. „Vielleicht sogar etwas Bedrohliches.“

„Sir David?“

„Nein, das ist nicht möglich“, beruhigte ich meinen Freund. „Sir David ist noch auf Kreta mit seinen Ausgrabungen beschäftigt. Es sei denn …“

„Es sei denn, ihm ist ein Stein auf den Kopf gefallen.“

„Das möchte ich nicht hoffen.“

„Ich ebenso wenig, Sihdi.“

„Es ist mit Bestimmtheit etwas Ernsteres. Trauer allein wäre nur mit halbmast symbolisiert worden.“ Ich zog mein Gewehr aus dem Sattelfutteral und nahm es vorsichtshalber in Anschlag.

Halef blickte mich überrascht an, zog ebenfalls seine Waffe aus dem Futteral und überprüfte sie.

„Meinst du, es könnte einen Überfall gegeben haben?“

„Ausschließen können wir es nicht. Wir sollten auf alles gefasst sein. Es ist durchaus möglich, dass es eine Okkupation von Lindsay Castle gegeben hat und irgendwer das Schloss in seiner Gewalt hält und die Lindsays durch die umgedrehte Flagge verhöhnen will.“

Halef nickte verstehend.

Wir trieben die Pferde erneut zu mäßigem Schritt an. Schnelleren Gang wagten wir bei dem glatten Boden nicht. Auch wenn es nur Leihpferde aus Carlisle waren, mochte ich die armen Tiere keinesfalls zuschanden reiten. Ein Ausgleiten könnte hier genügen, damit sich eins der Pferde ein Bein brach, zumal das Packpferd arg beladen war.

Wachsamen Blicks und die Gewehre im Anschlag ritten wir die breite Auffahrt hinauf, dem Haupthaus entgegen. Das Schloss war ein grandioser Anblick. Die Mauern leuchteten rötlich durch den Nebel, was sicherlich nicht nur dem Glühen des Abendrots zu danken war, sondern auch dem Baumaterial. In dieser Gegend verwandte man schon seit jeher den Old-Red-Sandstone, eine Gesteinsablagerung aus dem Devon. Bei genauerem Hinsehen vermag man einiges an Fossilien darin zu erkennen, besonders Meeresgetier und Fische. Aber natürlich war das in jenem Moment nicht von Interesse für uns. Wir hatten noch immer die Flagge mit dem umgedrehten Löwen im Kopf und waren auf eine feindliche Streitmacht vorbereitet.

Mittig des burgähnlichen Baus erschloss eine breite Treppe den Haupteingang. Links und rechts reihten sich hohe spitze Fenster aneinander, die mit ihrem gotischen Maßwerk fast sakral wirkten. Licht quoll daraus hervor. Das darüberliegende Stockwerk war dunkel. Die Fenster dort hatten eine rechteckige Form, soweit ich das in der Dämmerung erkennen konnte. Das Dach umgrenzten Zinnen wie bei einer mittelalterlichen Burg und dazwischen erhoben sich Schornsteine. Aufmerksam suchte ich die Lücken zwischen den Zinnen sowie die dunklen Fenster nach Gewehrläufen oder sonstigen Gefahren ab. Doch ich vermochte nichts Beunruhigendes zu erkennen. Links und rechts dieses Mittelbaus ragten der West- und der Ostflügel empor wie Burgfriede. Die zwei Seitenflügel waren um ein Stockwerk höher als der Mittelbau. In den vor uns emporragenden Mauern sah ich zahlreiche rechteckige Fenster, teils zu Erkern nach außen gebaut. Das oberste Geschoss wartete mit Balkonen auf, die sich über jenen Vorsprüngen befanden. Ein wahrhaft majestätischer Anblick, Lord Lindsays durchaus würdig.

Plötzlich traten uns zwei bewaffnete Männer in den Weg. Sie hatten im Schatten einiger gewaltiger Eichen neben der breiten steinigen Zugangsstraße gelauert.

„Wer seid Ihr?“, fragte der eine recht barsch und richtete den Lauf seines Gewehrs auf mich.

„Mein Name ist Kara Ben Nemsi und mein Begleiter heißt Hadschi Halef Omar. Wir werden von Lady Ann erwartet“, erwiderte ich auf Englisch.

„Darüber sind wir informiert, Mister Kara Ben Nemsi. Warten Sie bitte einen Moment. Wir müssen vorsichtig sein. Verzeiht deshalb die Unannehmlichkeiten.“ Der Mann drehte den Gewehrlauf von mir weg, blieb aber bereit, falls ich ihn angreifen sollte.

Was konnte hier nur geschehen sein, das eine derartige Verteidigung rechtfertigte? Sein Partner blies ein militärisches Hornsignal, worauf sich die große Eingangstür öffnete und ein Mann mit dunkler Robe und dem Löwen der Lindsays auf der Brust uns über die breite Treppe entgegeneilte. Noch immer war ich vorsichtig, auch als sich der Mann als Kastellan des Schlosses vorstellte, uns musterte und schließlich willkommen hieß. Auf sein Winken hin eilten zudem zwei Stallburschen herbei, um sich unserer Pferde anzunehmen, als seien wir erwartet worden. Was allerdings nicht sein konnte, da wir Lady Ann keinen festen Zeitpunkt für unser Eintreffen zu nennen vermocht hatten. Der Verlauf der Reise nach Schottland war nicht berechenbar gewesen, denn wir kannten das Land nicht und waren zudem nicht sicher, unser Ziel direkt und problemlos zu finden.

Aus der sich nun erneut öffnenden zweiflügligen Tür traten zwei Gestalten hervor. Im Gegenlicht der inneren Beleuchtung erblickte ich eine füllige Dame mit einem Häubchen auf dem Kopf und eine junge Lady, die sogleich die Treppe herabgerannt kam.

„Oh, Kara und Halef. Ich bin so froh, dass ihr endlich da seid.“ Es war Ann Lindsay. Sie warf sich mir an den Hals und somit fiel die Anspannung zunächst von uns ab. Das Schloss war offensichtlich nicht in fremder Hand. Jedoch ließen mich die Verteidigungsmaßnahmen und Anns Reaktion darauf schließen, dass sehr wohl etwas Furchtbares vorgefallen sein musste.

„Was ist geschehen?“, fragte ich dann auch, während sie sich von mir löste.

„Etwas Schreckliches, etwas Grausames“, antwortete sie erregt.

Ich...