dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Tod am Wockersee - Henri Martensen ermittelt

Tod am Wockersee - Henri Martensen ermittelt

Carolyn Srugies

 

Verlag Spica Verlag, 2022

ISBN 9783985030408 , 392 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

14,49 EUR


 

Prolog


„Ich gehe in acht Wochen nach Berlin. Dann sind Sie mich los.“

Gerald wiegte den Kopf. „Je eher, desto besser.“

Er saß in einem der beiden Sessel in der Dachwohnung seiner verstorbenen Haushälterin Tilly Puvogel. Seine Blicke schweiften durch das gemütliche Zimmer mit einem runden Tisch, zwei Sesseln, einem Sofa für zwei Personen und einem Schrank, auf dem sich ein kleiner Fernseher befand. Auf der Seite gegenüber dem Fenster stand ein altmodisches Buffet aus Nussbaumholz mit einer Uhr, deren Uhrwerk mit einem winzigen Schlüssel aufgezogen werden musste. Die Zeiger waren stehen geblieben und gaben eine falsche Zeit an. Lürßmanns Blick glitt nach links, ein Paravent verdeckte die Sicht auf das dahinter verborgene Bett. Wer hatte darin geschlafen? Seine verstorbene Haushaltshilfe oder der Bengel? Lürßmann hatte fast vergessen, dass Hinnerk ebenfalls im Zimmer war und ihn gelassen ansah. Er räusperte sich. „Der Tod deiner Großmutter tut mir leid, Junge, aber du musst verstehen, ich brauche die Wohnung für meine neue Haushaltshilfe.“

Der junge Mann vor ihm musterte ihn mit zusammengekniffenen Augen. „Sie haben doch noch niemanden für die Stelle. Ich kann Ihnen für die beiden Monate auch Miete zahlen.“

Das fehlte noch. Je eher dieser renitente Bengel verschwand, desto besser. Er hatte Lust, Hinnerk eine Abreibung zu verpassen. Erst vor kurzem hatte er herausgefunden, dass dieser Bursche, der Sohn einer Versagerin, eines Flittchens, einer stadtbekannten Säuferin, mit seiner Tochter schlief. Mit seiner schönen, kultivierten und klugen Ina. „Woher willst du wissen, ob die Stelle besetzt ist?“

„Weil Ina es mir erzählt hätte.“

„Ina ist bei ihrer Tante in Quedlinburg, wie du weißt. Sie hat noch nichts von der neuen Haushälterin erfahren. Ich muss auch noch renovieren.“ Sein Blick glitt über die Einrichtung. Eine leichte Staubschicht hatte sich auf die Möbel gelegt. Feine Partikel tanzten im Sommerlicht durch den Raum.

„Du könntest mal durchwischen. Die Pflanzen könnten auch wieder Wasser vertragen.“

„Ich soll verschwinden, aber vorher noch durchwischen, Herr Lürßmann?“

„Für dich immer noch Herr Dr. Lürßmann, so viel Zeit muss sein.“ Er musterte den Jungen, der selbstbewusst vor ihm stand, als sähe er ihn zum ersten Mal. Doch der Enkel seiner Wirtschafterin lebte seit sechs Jahren hier bei seiner Großmutter in der kleinen Dachwohnung. Eigentlich sah der Bursche einnehmend aus mit den dunkelblonden Haaren, den dichten ausdrucksstarken Brauen und den grünen Augen. Zehn Kilo weniger auf den Rippen täten ihm trotzdem ganz gut. Seine Umgangsformen hatten nie etwas zu wünschen übriggelassen. Sogar den Rasen hatte er ohne Aufforderung gemäht und seiner Großmutter bei der Pflege des Lürßmannschen Schrebergartens geholfen. Ina hatte ihn oft begleitet. Gerald wurde schlecht, wenn er daran dachte, was die beiden in seiner Laube getrieben haben konnten. Er gestand sich ein, dass der Junge ihm immer außerordentlich höflich begegnete; nur redete er ihn nie mit seinem Titel an. Lürßmann hatte gedacht, der Junge wäre ein wenig einfältig. Er hatte oft beobachtet, wie Ina und er gemeinsam im Wohnzimmer oder auf der Terrasse gelernt hatten. Gerald war immer der Ansicht gewesen, Ina würde ihn mit durchschleifen. Zu seinem Erstaunen hatte der Bengel jedoch ein hervorragendes Abitur abgelegt, das beste des kompletten Jahrganges. Irgendwie empfand er es als ungerecht, dass jemand mit diesem Erbgut so intelligent war. So eine Verschwendung. Der Bursche war einen Kopf kleiner als er und kniff die Augen zusammen wie jemand, der eine Brille benötigte. Die geballten Fäuste waren in den Hosentaschen versenkt. 

Lürßmann räusperte sich. Er musste ihn anders knacken. „Wie dem auch sei. Ina und ich wären dankbar, wenn du dich räumlich umorientieren würdest.“ Er erhob sich und bemühte sich um einen gütigen, mitleidigen Blick.

„Ina?“

Lürßmann schmunzelte in sich hinein. „Es tut mir leid, dir das zu sagen“, er machte eine kunstvolle Pause. „Ina hat dir nicht gesagt, dass sie einen Freund hat?“

„Ich bin Inas Freund! Schon lange! Ob es Ihnen passt oder nicht!“

Es passte ihm natürlich nicht. Gerald wiegte den Kopf. „Tja, tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen. Ina hat mich gebeten, dir zu sagen, dass sie einen Freund hat. Mit ihm ist es ernst.“

Der junge Mann vor ihm starrte ihn ungläubig an. „Ich glaube Ihnen kein Wort. Ina liebt mich. Und ich liebe Ina. Wenn sie Freitag zurück ist, packen wir unsere Sachen und trampen vier Wochen durch Schweden. Im Oktober gehen wir beide nach Berlin und studieren Veterinärmedizin. Wir sind beide volljährig!“

Trampen! Hatte der Knabe den Verstand verloren? Gerald würde Ina nicht mit diesem Habenichts an der Seite durch die mückenverseuchte Landschaft Schwedens laufen lassen. Obwohl: Vier Wochen ein leeres Haus zu haben und ungestört die Gesellschaft seiner neuen Freundin zu genießen, erschien ihm reizvoll. Er stellte sich ihren Körper vor, wie sie nackt vor ihm durch das ganze Haus lief und er sie … Kurz schloss er die Augen.

„Wer soll überhaupt dieser ominöse Freund sein?“

Gerald triumphierte innerlich. Ein Teilsieg! Schnell dachte er nach. Wie hieß dieser lange Lulatsch, dieser introvertierte Medizinstudent noch? „Raik von Irgendwas. Er studiert Medizin. Ina will nun auch Humanmedizin studieren. Sie hat den Numerus clausus.“ Stolz schwang in seiner Stimme mit, bis ihm einfiel, dass Hinnerk, was das anging, Ina in nichts nachstand.

„Ich kenne Inas Durchschnitt. Sie will Tierärztin werden. Humanmedizin liegt ihr nicht. Und Raik hat sie nicht mal von der Seite angesehen. Der steht auf Diane Schuster.“

Lürßmann erhob sich und legte seinem Gegenüber besänftigend eine Hand auf die Schulter. Verärgert bemerkte er, dass der Junge zusammenzuckte.

„Ich glaube Ihnen kein Wort.“ Die Stimme klang leicht verunsichert. „Ina kommt Freitag wieder. Sie wird Ihnen sagen, dass sie mich liebt.“

„Mein Junge! In eurem Alter weiß man nicht, was Liebe ist. Fakt ist: Ich brauche die Wohnung. Ina möchte nicht mehr mit dir zusammen sein. Du hast doch einen klugen Kopf. Wenn du schlau bist, verschwindest du, bevor sie wiederkommt. Wenn du sie wirklich magst, ersparst du ihr einen peinlichen Auftritt. Sie und Raik passen gut zusammen. Seine Eltern sind auch Mediziner. Vielleicht bin ich ein Snob, aber zu Ina passt jemand aus einem Akademikerhaushalt nun einmal besser als jemand aus einem Domestikenmilieu.“

Der junge Mann zuckte zusammen. „Wollen Sie Oma schlechtmachen?“

„Deine Großmutter war eine patente fleißige Frau. Sieh zu, dass du ihr nachschlägst und nicht deiner Mutter.“

In den Augen des Jüngeren glänzte es verdächtig. Gerald holte erneut aus. „Du solltest es euch beiden leichtmachen. Sieh mal, Ina wollte dich so kurz nach dem Tod deiner Großmutter nicht verletzen, aber was soll sie machen? Ist dir nicht aufgefallen, wie sehr sie sich verändert hat?“ Er beglückwünschte sich selbst zu diesem Einfall, denn Ina hatte sich wirklich verändert. Nach der Abiturfeier war sie noch fröhlich, aufgekratzt und voller Pläne für die Zukunft gewesen. Dann, ein paar Tage vor ihrer Abreise, war sie merklich stiller geworden. Introvertierter. Sie schlich nur noch mit gesenktem Kopf durch das Haus. Oft schien es ihm, als hätte sie heimlich geweint. Erst hatte er frohlockt, in der Auffassung, sie hätte sich mit ihrem Freund gestritten. Leider musste er feststellen, dass dem nicht so war. Nach dem Tod seiner Mutter hatte der Junge die letzten sechs Jahre in der Dachkammer seiner Großmutter gelebt. Lürßmann hatte damals überrumpelt zugestimmt, als seine Wirtschafterin ihm mit einer ungewohnten Festigkeit in der Stimme mitgeteilt hatte, dass sie ab sofort ihren zwölfjährigen Enkel bei sich aufnehmen würde. Lürßmann hatte nur noch genickt. Tilly Puvogel war eine exzellente Haushälterin und Köchin. Er hatte nicht auf sie verzichten wollen. Auch nicht, wenn er dafür diesen Jungen als Mitbewohner akzeptieren musste. Erst in den letzten Wochen war ihm der Kerl lästig geworden. Gerald hatte sich damit getröstet, dass der Junge mit dem beginnenden Semester nach Berlin verschwinden würde. Vor ein paar Wochen war Tilly überraschend einem Herzinfarkt erlegen. Ihr Enkel hatte sich trotz seiner Trauer tapfer gehalten. Auch Ina hatte sich verändert. Ihre sonst so fröhliche Art war verschwunden und sie ging nur noch in gedrückter Stimmung und mit gesenktem Kopf durch das Haus. Die Wesensveränderung seiner Tochter schrieb Gerald dem Tod der Wirtschafterin zu. Zwischen ihr und Ina hatte ein inniges Verhältnis bestanden. Schließlich war seine Tochter ohne Mutter groß geworden. Er hatte Tilly als Haushaltshilfe und zur Betreuung ins Haus geholt, nachdem seine Frau plötzlich verstorben war. Aus den Augen des Jungen lösten sich erste Tränen. Er gab keinen Laut von sich. Gerald wusste nicht, ob er Mitleid empfinden sollte oder Schadenfreude. Der Kerl musste verschwinden. „Und dann diese Idee mit Schweden. Da gibt es doch nichts. Die Mauer ist seit fast zwei Jahren weg. Ina will etwas Anderes sehen als Elche und Seen. Leider muss ich es dir direkt sagen: Du kannst ihr nichts bieten.“

„Ina und ich träumen seit Jahren von Schweden. Wir werden nächste Woche reisen. Außerdem kann ich ihr in ein paar Jahren vieles bieten.“ Hinnerk reckte sich.

Himmel, war der Knabe hartnäckig. Und was sollte „seit Jahren“ heißen? „Du träumst vielleicht vom Trampen durch Schweden, aber doch nicht Ina! Sie hat mir da etwas Anderes gesagt. Aber bitte, hol dir die Abfuhr eben...