dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Schatz der Welten - Untergang

Schatz der Welten - Untergang

Joachim Schiller

 

Verlag Spica Verlag, 2021

ISBN 9783985030262 , 392 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

14,49 EUR


 

Untergang


Als Tim gerade einunddreißig geworden war, zwang ihn sein Vater, endgültig aus dem Haus auszuziehen. Er solle sich doch endlich eine feste Arbeit suchen und seine Bestimmung finden.

Noch am selben Tag packte er wütend seine Sachen und fand dabei an der Wand hinter seinem Bett, unter der Wolldecke versteckt, einige Kratzer an der Wand: Ein großer Drache mit scharfen Zähnen war in die Wand geritzt. Daneben standen zwei Personen. Ein Pfeil zeigte auf die kleine Gestalt – Ich, stand dort geschrieben, eines der wenigen Worte, das er in seinem Leben zu schreiben gelernt hatte. 

Sofort kam ihm die Erinnerung an diesen Tag wieder. Im Süden des Tales waren sie gewesen, er und ein alter Mann, der ihm den Pfad über die Hügel gezeigt hatte und … ja was eigentlich?

Tim stand seufzend von dem Bett auf und verließ den Raum. Mit einem letzten Blick begutachtete er sein Zimmer. Unordentlich wie immer, allerdings nun ohne seinen Kram. Er durchquerte die Wohnstube, in der es tagein, tagaus nach Tabak stank. Schnell wie ein Fuchs huschte er am Zimmer seines Vaters vorbei, öffnete die Tür und stand im Freien.

Er atmete tief ein und ging los. Es war gerade Erntezeit, wie damals. Der Tagstern stand hoch oben am Himmel und erwärmte das Tal, in dem das Dorf lag. Über dem See im Osten des Tals sammelten sich einige Vögel, um Jagd auf Fische zu machen, die bei dieser Trockenheit, die hier herrschte, nur knapp unter der Wasseroberfläche des einzigen Teiches in diesem Tal schwammen. Die Bäume hatten begonnen, ihre Blätter abzuwerfen. Des Öfteren sah man kleine Nagetiere über den Boden huschen, die sich für die kältere Zeit des Jahres Nahrung suchten, genauso wie es die Menschen taten.

Aus einigen Schornsteinen der Häuser stieg Rauch auf, es war wohl bald Mittagszeit. Doch das interessierte Tim nicht mehr. Weder seine Mutter noch sonst irgendwer in diesem Dorf würde ihm nach all den Jahren der Faulheit noch eine Mahlzeit zubereiten. Er wusste, was das für eine Arbeit war, um in diesem Dorf auch nur die nötige Nahrung heranzuziehen. Das Gras rings um das Dorf war über die warme Jahreszeit hinweg beinahe vertrocknet und begann erst jetzt, wieder auszutreiben, da es dieses Jahr besonders heiß gewesen war. Der staubige Boden unter der Pflanzendecke war karg und bot kaum einem größeren Baum Halt. Nur nach jahrelangem Umpflügen konnte ein Stück Feld nutzbar gemacht werden. Es war ein Kampf gegen die Natur, sich hier mit dem Nötigen zu versorgen.

Doch er kehrte langsam zu anderen Gedanken zurück, während er sich seine kleine Tasche über den Rücken warf, die nur ein zerlumpter Beutel voll mit unnützem Kram war. Mehr besaß er nicht.

Was war damals noch geschehen? Tim hatte nach diesem Erlebnis vor einigen Jahren sofort seinen Freund Finn besucht. Vielleicht wusste der mehr.

Finn war mittlerweile neunundzwanzig Jahre alt. Früher hatte er sich eine ganze Zeit lang über ihn lustig gemacht und ihn verspottet, dass er als Sohn eines Bauers nicht besonders hell sei. Das mochte nicht ganz so weit hergeholt sein, denn er wusste selbst, dass er wahrscheinlich zu den dümmsten Menschen in dieser Welt gehörte. Finns Eltern waren hingegen bedeutende Kaufleute, die in kurzer Zeit großen Reichtum angehäuft hatten. Letzten Endes waren sie dem Wahnsinn verfallen und im Glauben fliegen zu können von einer Klippe gestürzt. Nun flogen sie im Himmel umher oder, was wahrscheinlicher schien, in der Unterwelt. Zuvor hatten sie in langwierigen Suchen ein großes Weinlager gefüllt. Weine aus den entlegensten Gebieten der Welt hatten sie gekauft. Es hieß, die beiden wären so gut wie überall gewesen. In den Bergen. In Tälern. In Wäldern. Und sogar bei Riesen und noch völlig anderen Kreaturen, die sich kein Mensch vorstellen konnte. Doch nie waren sie bei ihrem Sohn gewesen.

Zeitweilig hatten sie Schafe gezüchtet, die Finn nach ihrem Tod sofort für den läppischen Preis von neun Goldstücken an einen Großhändler verkauft hatte. Dieser nutzte die Tiere nun zur Wollproduktion und hatte sich damit in kürzester Zeit ein kleines Vermögen verdient, auf dem er sich ausruhen konnte.

Finn selbst hatte es, genauso wie Tim, nie zu einem richtigen Beruf gebracht. Er saß in seiner Wohnung, trank des Öfteren eine Flasche Wein und verprasste jeden Samstag viel Geld beim Glücksspiel. Bisher hatte er viele Tausend Münzen verloren und vielleicht zehn gewonnen. Würde er noch einige Jahre so weiterspielen, wäre der Reichtum seiner Eltern bald aufgebraucht. Ursprünglich waren es angeblich einige Zehntausend Goldmünzen und noch mehr Silbermünzen gewesen, jetzt war nicht einmal ein Fünftel davon übrig.

Tim hatte das alte Steinhaus am Rand der Siedlung erreicht. Die Tür war wie immer nicht verschlossen. Langsam drückte Tim die Tür auf und betrat die Wohnung. Wie üblich saß Finn am Kamin mit einer großen Flasche Wein, die schon fast geleert war.

„He, Finn!“, grüßte Tim seinen Freund, während er die knarrende Tür hinter sich ein Stück weit wieder schloss. Ein wenig musste sie offen bleiben, damit der Alkoholgestank dieses Haus verließ.

Schwerfällig stellte sein alter Freund erst die Flasche ab, dann ein halbleeres Glas. Daraufhin drehte er sich um und stierte hinter der Sessellehne hervor. Sein gequältes Gesicht verwandelte sich in eine grinsende Fratze.

„Hallo!“, murrte er zurück.

„Sag mal“, begann Tim zu erzählen, während er sich auf einen Stuhl setzte, „weißt du noch, damals als ich dir von dem Räuber erzählt habe, weißt du noch, was ich da genau gesagt habe?“

Finn runzelte die Stirn. „Nein“, gab er zur Antwort. „Aber du hast mir da was gegeben, wir haben es uns zusammen angesehen, keine Ahnung, was da drinstand.“

„Was war das?“, fragte Tim weiter.

„Ein altes dickes Buch. Etwas löchrig, aber immer noch in Ordnung!“, brummte Finn.

„Wo? Wo hast du dieses Buch?“, fragte Tim plötzlich laut.

„Gleich hinten, im Weinlager“, entgegnete Finn gleichgültig.

Tim stand sofort auf und stürmte zu der Tür, die in den Raum mit den Weinregalen führen sollte, und riss sie auf. Vor sich sah er die Regale, die sonst immer voll mit allen möglichen Flaschen waren. Der Großteil war schon ausgetrunken. Nur in den hinteren Regalen lagen vereinzelt noch einige volle.

Langsam betrat er den Raum, spähte nach links und nach rechts. Ringsherum kahle Regale, weiter nichts. Auf dem Boden lagen Scherben ohne Ende, die von einem kleinen Wutanfall zeugten.

„Wo soll das Buch sein?“, rief er zur Tür hinaus. In dem leeren Raum hallte seine Stimme. Eine Fledermaus erhob sich und huschte durch die offene Tür hinaus in die Freiheit, nur um festzustellen, dass es zu hell und warm draußen war. Sofort machte sie kehrt und flog zurück in den dunklen kühlen Raum.

„Weiß nicht. Irgendwo hinter einem Regal“, meinte Finn zu der Frage. „Ich stolpere ständig drüber. Da hab’ ich’s vor wenigen Tagen mal beiseitegetreten.“

„Du wolltest die leeren Regale doch verkaufen“, sagte Tim, aber es kam keine Antwort mehr.

Also ging er weiter in den Raum hinein, um nach dem Buch zu suchen. Vorsichtig spähte er hinter die eingewebten verwaisten Holzgestelle und fand schließlich unter einem von ihnen ein dickes, eingestaubtes Buch. Ja, das musste es sein. Mehr Bücher hatte Finn wahrscheinlich in seinem gesamten Leben nicht gesehen.

„Ich hab’s!“, rief er. Tim verließ das Weinlager und betrat die Wohnstube. „Hier ist es.“ Er pustete den Staub und die Spinnweben vom Buchdeckel und hustete laut.

Finn sah sich das Buch an. „Ja, das muss es sein.“ Vorsichtig öffnete er das Buch. „Ja, das ist es. Daran kann ich mich erinnern.“ Er schwenkte mit seinem Weinglas über die Seiten und deutete mit einem Finger auf die verschiedenen Zeichnungen. Seltsame Kreaturen, ein Pentagramm und allerlei Gekritzel – ja, das musste es sein.

„Weißt du“, begann Tim zu erzählen, „da wir beide in diesem Dorf nichts mehr haben, das uns irgendwie weiterbringt, könnten wir uns doch auf eine Reise begeben. Einfach los. Nichts weiter. Wir gehen fort und kommen nie wieder zurück. Hm, was hältst du davon?“ Fordernd blickte er seinem Gegenüber in die Augen und wartete geduldig auf eine Antwort.

Auf Finns Stirn zeichneten sich Falten ab, die deutlich darauf schließen ließen, dass er wirklich darüber nachdachte. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, brachte aber keinen Ton hervor, schloss seinen Mund wieder und dachte erneut nach. Wieder holte er Luft, um zu antworten, und sagte klar entschlossen: „Ja. Ich komme mit.“

Tim war erleichtert. Oft dauerte es Stunden, bis sich sein Freund mal für irgendetwas entschied. Wobei es dann meistens nur um irgendwelche Kleinigkeiten ging, die jeder normal denkende Mensch in wenigen Sekunden entschieden hätte. Aber sie waren ja beide nicht wirklich normale Menschen. Vor allem, weil Finn anscheinend nur noch in seiner Wohnung saß und trank. Wenn das so weiterging, dann würde er genauso ein frühes Ende finden, wie es bei seinen Eltern der Fall gewesen war.

Tims Mutter fand es damals sehr deprimierend, als sie sich beide als Taugenichtse herausstellten. Sie wären ja immer so aufgeweckte und kreative Kinder gewesen, hatte sie gesagt. Doch das war ihnen herzlich egal gewesen. Sie hatten Besseres zu tun gehabt, als sich mit irgendetwas zu beschäftigen, was Arbeit auch nur ähnlichsah oder irgendeine Anstrengung mit sich bringen konnte. Nun ja, vielleicht nichts Besseres – aber Anderes. Doch das sollte sich jetzt ändern, dachte sich Tim. Es wurde Zeit für einen Neuanfang, der möglichst weit weg von ihrer Heimat...