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Ring Shout - Thriller

Ring Shout - Thriller

P. Djèlí Clark

 

Verlag Festa Verlag, 2022

ISBN 9783865529978 , 256 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

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5,99 EUR


 

Eins

Hast du schon mal einen Klansmarsch gesehen?

Unsere in Macon sind nicht so groß, wie man sie vielleicht in Atlanta zu Gesicht bekommt. In dieser Stadt mit ihren etwas über 50.000 Einwohnern gibt es aber genug Klansleute, um so einen Narrenaufzug zu veranstalten, wenn ihnen der Sinn danach steht.

Dieser findet an einem Dienstag statt, dem 4. Juli, also heute.

Ein ganzer Haufen von denen paradiert die 3rd Street hinunter, in ihren weißen Roben und spitzen Kapuzen. Nicht einer hat sein Gesicht verhüllt. Ich hab gehört, die ersten Klansleute nach dem Bürgerkrieg hätten sich für ihre Dummheiten Kopfkissenbezüge oder Mehlsäcke übergezogen, sich sogar geschwärzt und so getan, als wären sie farbig. Aber die, die wir 1922 hier haben, scheren sich nicht um Tarnung.

Alle – Männer, Frauen, sogar kleine Babyklansleute – grinsen wie bei einem Sonntagspicknick. Feuerwerk gibt’s auch jede Menge: Wunderkerzen, chinesische Knaller, Raketen und solche Dinger, die sich wie Kanonenschüsse anhören. Eine Blechbläserband wetteifert mit dem Getöse, aber alle, das schwöre ich, klatschen auf der Eins und der Drei. Bei dem vielen Fahnenschwenken und Gehopse vergisst man leicht, dass das Monster sind.

Aber ich mache Jagd auf Monster. Und erkenne sie, wenn ich sie sehe.

»Ein kleiner Ku-Klux toooot«, summt eine Stimme neben meinem Ohr. »Zwei kleine Kluxe toooot, drei kleine Kluxe, vier kleine Kluxe, fünf kleine Kluxe toooot.«

Ich werfe einen Blick zu Sadie hinüber, die neben mir kauert, das Haar zu einem langen braunen Zopf geflochten, der ihr über die Schulter hängt. Ein Auge hat sie zusammengekniffen, mit dem anderen blickt sie durch das Visier ihres Gewehrs auf die Menschenmenge hinunter. Als sie mit ihrem Liedchen fertig ist, tut sie so, als würde sie den Abzug drücken.

Klick, klick, klick, klick, klick!

»Lass das.« Mit meinem ramponierten Buch schiebe ich den Gewehrlauf weg. »Wenn das losgeht, bin ich taub, und du bist schuld. Außerdem könnte uns jemand sehen.«

Sadie verdreht ihre großen braunen Augen, schürzt die Lippen und rotzt einen Klumpen aus Spucke und Tabak aufs Dach. Ich verzieh das Gesicht. Das Mädchen hat ein paar echt widerliche Angewohnheiten.

»Ich schwör, Maryse Boudreaux.« Sie hängt sich das Gewehr über die blaue Latzhose, die an ihr schlottert, so mager ist sie, und stemmt sich die Hände in die Hüften, um mir die komplette Sadie-Kur zu verpassen. Wie sie mit ihrer hellbraunen Haut dasteht, sieht sie wie eine zornige Farmpächterin aus. »Was du dir immer für Sorgen machst. Bist du 25 oder 85? Manchmal weiß ich das nicht. So hoch oben sieht uns doch keiner, nur die Vögel.«

Sie macht eine Geste zu den Gebäuden hin, die höher aufragen als die Telegrafenleitungen in Macons Innenstadt. Wir sind auf dem Dach eines der alten Baumwolldepots abseits der Poplar Street. Damals haben sie in der ganzen Gegend die Baumwolle von den Plantagen auf dem Land gebunkert, um sie dann per Dampfschiff den Ocmulgee runterzuschicken. Das flaumige weiße Zeug, in Sklavenschweiß und -blut getränkt, hat die Stadt groß gemacht. Heutzutage liegt immer noch Baumwolle in den Lagern von Macon, die ist aber für die örtlichen Fabriken und Eisenbahnen bestimmt. Wie die Klans die Straße runterwatscheln, das lässt mich daran denken, wie sie die weißen Ballen zum Fluss runtergeschleppt haben, daran haben noch der Schweiß und das Blut farbiger Leute geklebt.

»Wär ich nicht so sicher«, wirft Chef ein. Sie sitzt mit dem Rücken an der Dachmauer, die dunklen Lippen mit dem vertrauten lockeren Grinsen um den Stummel einer Chesterfield gekräuselt. »Damals im Krieg haben wir immer nach Heckenschützen Ausschau gehalten. ›Ein Auge in den Schlamm, eins nach vorn und beide nach oben‹, hat der Sergeant ständig gesagt. Jemand schrie ›Schütze!‹, und ruckzuck waren wir weg!« Unter ihrer knappen senfbraunen Armeemütze verengen sich ihre Augen, und ihr Grinsen flackert. Sie nimmt die Zigarette aus dem Mund und bläst weißen Rauch aus. »Wie ich die gehasst hab, diese Scheißheckenschützen.«

»Das hier ist aber kein Krieg«, gibt Sadie zurück. Wir sehen sie beide komisch an. »Ich mein, nicht so ’ne Art von Krieg. Da unten guckt keiner nach irgendwelchen Schützen. Außerdem siehste Winnie immer nur ganz kurz, bevor sie dir ’ne Kugel zwischen die Augen jagt.« Sie klopft sich gegen die Stirn und lächelt schief, ein Tabakpfropf wölbt ihr die Wange nach außen.

Sadie ist keine Scharfschützin, aber gelogen hat sie nicht: Das Mädchen kann einer Fliege die Flügel wegschießen. War trotzdem keinen Tag lang in Onkel Sams Armee – war nur immer jagen mit ihrem Großpapa in Alabama. »Winnie« ist ihre Winchester 1895, mit einem Schaft aus Walnuss, einem ziselierten schiefergrauen Gehäuse und einem 24-Zoll-Lauf. Ich halte nicht viel von Waffen, muss aber schon zugeben – die ist ’n verdammt hübscher Killer.

»Die Warterei macht mich ganz kribbelig«, sagt sie verärgert und zieht an dem rot-schwarz karierten Hemd unter ihrer Latzhose. »Und ich kann nicht wie Maryse zum Zeitvertreib Märchen lesen.«

»Volkserzählungen.« Ich halte mein Buch hoch. »Da steht’s, mitten auf dem Buchdeckel.«

»Wie du willst. Geschichten über Bruder Fuchs und Bruder Bär … Hört sich nach Märchen an.«

»Besser als deine billigen Klatschzeitungen«, sage ich.

»Ich hab gehört, da steckt viel Wahres drin. Wartet mal ab. Und wann bringen wir jetzt was um? Das dauert ja ewig!«

Dagegen kann ich nichts sagen. Wir sind schon eine Dreiviertelstunde hier draußen, und mit der Sonne ist hier in Macon mitten am Tag nicht zu spaßen. Mein hübsch geflochtenes und hochgestecktes Haar wird unter der Zeitungsjungenmütze schon feucht. Das gestreifte weiße Hemd klebt mir schweißnass am Rücken. Und diese grauen Kniebundhosen sind auch nicht viel besser. Ein Sommerkleid, locker um die Hüften, ist mir da lieber. Darin kann man wenigstens atmen. Keine Ahnung, wie Männer das aushalten, so beengt.

Chef steht auf, klopft sich den Staub ab und zieht ein letztes Mal genüsslich an der Chesterfield, dann zermalmt sie sie unter ihrem verblassten Pershingstiefel. Ich bin immer beeindruckt, wie groß sie ist: größer als ich auf jeden Fall, aber auch größer als so mancher Mann. Auch schön schlank, lange dunkle Beine und Arme in hellbrauner Kampfjacke und -hose.

Die Männer des Kaisers haben sich bestimmt an ihrem Sauerkraut verschluckt, als sie gesehen haben, wie sie bei der Maas-Argonnen-Offensive zusammen mit ihren Black Rattlers auf sie zugestürmt ist.

»In den Gräben hat außer uns nichts gelebt, nur Läuse und Ratten. Die Läuse waren einen Scheißdreck wert. Die Ratten konntest du wenigstens essen. Musstest nur wissen, wie du sie anlockst und einfängst.«

Sadie würgt, als hätte sie ihren Tabak in den falschen Hals gekriegt. »Cordelia Lawrence, von all den ekligen Sachen, die du von diesem ekligen Krieg erzählt hast, war das mit Abstand die ekligste!«

»Cordy, du hast Ratten gegessen?«

Chef kichert nur und geht weg. Sadie guckt zu mir herüber und tut, als müsste sie sich übergeben. Ich binde mir die Senkel meiner grünen Gamaschen fester, steh auf und stecke mir das Buch in die Gesäßtasche. Als ich Chef einhole, ist sie am anderen Ende des Dachs und blickt über den Rand.

»Wie gesagt«, fängt sie wieder an. »Willst du eine Ratte fangen, brauchst du den richtigen Köder und ’ne Falle. Und dann wartest du einfach ab.«

Sadie und ich folgen ihrem Blick in die Gasse hinter dem Gebäude, fernab der Parade. Hierher kommt bestimmt keiner. Da unten ist unsere Falle ausgelegt: ein Hundekadaver, zerstückelt. Aus seinem verkohlten schwarzen Fell quellen blutig und pink die Gedärme auf den Gehsteig. Bis hier herauf weht der Gestank.

»Musstest du den so zerhäckseln?«, frage ich. Mir ist flau im Bauch.

Chef zuckt mit den Schultern. »Bienen fängt man mit Honig.«

So wie Bruder Fuchs Bruder Hase fängt, hör ich meinen Bruder sagen.

»Sieht so aus, als fangen wir gar nichts außer Fliegen«, murrt Sadie. Sie beugt sich über den Sims, um ihren Tabak auf den Kadaver zu spucken, und verfehlt ihn bei Weitem.

Ich seh sie scharf an. »Kannst du mal ein bisschen respektvoller sein?«

Sadie zerknautscht das Gesicht, kaut noch kräftiger. »Der ist tot. Spucke macht dem nix mehr aus.«

»Wir könnten trotzdem versuchen, nicht so geschmacklos zu sein.«

Sie schnaubt. »Machst du hier Theater wegen ’nem Köter? Dabei legen wir doch weit Schlimmeres um.«

Ich mach den Mund auf, finde dann aber, dass es die Mühe nicht wert ist.

»Ein Streuner mehr oder weniger kümmert Macon nicht«, sagt Chef. »Falls es dich tröstet: Das alte Mädchen hat das Ende nich’ kommen sehen.« Sie tätschelt ihr deutsches Grabenmesser – ihr liebstes Souvenir. Das macht es nicht besser. Wir blicken zu dem Hund hinab, den Lärm von der Parade hinter uns in den Ohren.

»Warum mögen die Ku-Kluxe überhaupt so gern Hund?«, fragt Sadie und bricht unser Schweigen.

»Verkokelt, aber blutig«, fügt Chef hinzu. »Den hab ich am Spieß gebraten.«

»Das mein ich ja. Warum Hund und nicht, sagen wir mal, Hühnchen?«

»Vielleicht gibt’s, wo die herkommen, keine Hühner oder Schweine, sondern bloß Hunde.«

»Oder was, das wie Hund schmeckt

Mein Magen hätte auf dieses...