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Der Hauch des Bösen - Roman

J.D. Robb

 

Verlag Blanvalet, 2009

ISBN 9783641029395 , 576 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

2
Das Innere des Ladens war erfrischend kühl und erfüllt vom Duft von Kaffee, Bohnerwachs und warmem Brot. Während sie das Wasser trank, das ihr Remke angeboten hatte, studierte sie ihn. Er sah nicht länger wie eine menschliche Rakete kurz vor der Explosion aus, sondern wirkte abgrundtief erschöpft.
Wie sie aus Erfahrung wusste, war das, wenn Menschen Gewalt begegnet waren, nur allzu oft der Fall.
»Wann haben Sie den Container zum letzten Mal benutzt?«, fragte sie.
»Gestern Abend gegen sieben, gleich nachdem ich den Laden geschlossen hatte. Normalerweise schließt mein Neffe immer ab, aber er hat diese Woche Urlaub. Wollte mit seiner Frau und seinen Kindern zum Disney Planet fliegen – der Himmel weiß, warum.«
Er stützte die Ellenbogen auf dem Tresen ab, legte den Kopf zwischen die Hände und bohrte seine Zeigefinger in die Schläfen. »Ich kriege das Gesicht von diesem Mädchen einfach nicht mehr aus dem Kopf.«
Das werden Sie auch nie, dachte Eve. Zumindest nicht völlig. »Wann waren Sie heute Morgen hier?«
»Um sechs.« Er stieß einen tiefen Seufzer aus und ließ die Hände sinken. »Ich habe den... Geruch sofort bemerkt und wütend gegen den Recycler getreten. Großer Gott, ich habe gegen den Container getreten, während sie da dringelegen hat.«
»Sie hätten ihr nicht helfen können, aber das können Sie jetzt. Was haben Sie dann getan?«
»Ich habe die Störung gemeldet. Habe das Mädchen am Telefon zur Schnecke gemacht. Costello und Mintz kamen ungefähr halb sieben, und wir haben uns furchtbar aufgeregt. Gegen sieben habe ich dann noch mal angerufen, weil bis dahin immer noch niemand da war. Ich kann gar nicht sagen, wie oft ich dort angerufen habe, und bis Poole dann endlich kam, stand ich kurz vorm Durchdrehen. Das war zirka zehn Minuten, bevor ich auf ihn losgegangen bin.«
»Sie wohnen über dem Geschäft?«
»Ja. Ich, meine Frau und unsere jüngste Tochter. Sie ist sechzehn.« Er atmete rau ein. »Ebenso hätte er sie erwischen können. Sie war gestern bis zehn Uhr abends weg. Zu dem Zeitpunkt muss sie immer zu Hause sein. Sie war mit ein paar Freundinnen und Freunden unterwegs. Ich weiß nicht, was ich machen würde, wenn... ich weiß nicht, was ich machen würde.« Seine Stimme wurde krächzend. »Was macht man in einem solchen Fall?«
»Ich weiß, das ist sehr schwer für Sie. Haben Sie gestern Abend vielleicht irgendwas gehört, irgendjemanden gesehen? Fällt Ihnen irgendetwas ein?«
»Shelly kam auf die Minute pünktlich heim. Wir sind darin sehr streng, deshalb war sie Punkt zehn zu Hause. Ich habe das Footballspiel im Fernsehen gesehen – aber eigentlich habe ich eher auf sie gewartet. Um elf lagen wir alle drei im Bett. Ich musste in der Früh den Laden öffnen, deshalb habe ich mich beizeiten hingelegt. Ich habe, verdammt noch mal, nicht das Mindeste gehört.«
»Okay, erzählen Sie mir von Rachel. Was wissen Sie über sie?«
»Nicht viel. Sie hat seit ungefähr einem Jahr in der Drogerie gejobbt. Meistens tagsüber. Manchmal hatte sie auch Nachtschicht, meistens aber war sie tagsüber da. Wenn man in den Laden kam und sie hatte gerade nichts zu tun, saß sie über ihren Büchern. Sie wollte Lehrerin werden. Sie hatte ein unglaublich süßes Lächeln.« Erneut brach seine Stimme. »Es war eine Freude, sie anzusehen. Ich verstehe wirklich nicht, wie irgendwer so etwas tun konnte.« Er blickte durch das Fenster auf den Container und wiederholte leise: »Wie in aller Welt konnte ihr jemand so was antun?«
Zusammen mit ihrer Assistentin ging Eve hinüber in die Drogerie. »Rufen Sie bitte Roarke an, und finden Sie heraus, wie es Summerset geht.«
»Ich dachte, er fährt heute in Urlaub. Das steht zumindest in Ihrem Kalender. Sie haben extra einen Fanfarenbläser und ein Feuerwerk dazugemalt.«
»Er hat sich das Bein gebrochen.«
»Was? Wann? Wie? Mein Gott!«
»Ist heute Morgen die verdammte Treppe runtergefallen. Ich glaube, das hat er nur getan, um mich zu ärgern. Rufen Sie also bitte an. Sagen Sie Roarke, dass ich mich bei ihm melde, sobald das Chaos hier halbwegs gelichtet ist.«
»Ich werde ihm ausrichten, dass Sie in großer Sorge sind.« Es zeugte von bewundernswerter Kühnheit, dass Peabody unter dem Blick, mit dem ihre Vorgesetzte sie bedachte, nicht zuckte. »Natürlich wird er wissen, dass das Blödsinn ist, aber so was sagt man nun einmal.«
»Halten Sie das, wie Sie wollen.«
Damit betrat sie das Geschäft. Irgendeine vernünftige Person hatte die klimpernde Musik, die in sämtlichen Drogerien auf und außerhalb der Erde spielte, abgestellt. Deshalb hing eine Grabesstille über dem mit Fertiggerichten, überteuerten Dingen des alltäglichen Lebens und einer Reihe von AutoChefs bestückten Raum. Ein uniformierter Beamter sah sich die angebotenen Entertainmentdisketten an, während ein junger Angestellter zusammengesunken hinter dem Tresen saß. Seine Augen waren rot verquollen. Er hatte offenbar geweint.
Noch so ein junger Mensch, ging es Eve durch den Kopf. In Läden wie diesem waren immer entweder halbe Kinder oder Rentner angestellt, denn ihnen machten die absurden Arbeitszeiten und die dürftige Bezahlung weniger als anderen aus.
Der junge Mann war klapperdürr und rabenschwarz, mit wild vom Kopf stehendem, leuchtend orangefarbenem Haar. Er trug einen silbernen Lippenring und hatte eine billige Imitation einer populären Uhrenmarke an seinem linken Arm.
Er sah Eve und brach erneut lautlos in Tränen aus.
»Sie haben gesagt, dass ich niemanden anrufen darf. Sie haben gesagt, dass ich hierbleiben muss. Aber ich will nicht länger bleiben.«
»Gleich können Sie gehen.« Mit einer Kopfbewegung schickte sie den Beamten vor die Tür.
»Sie haben behauptet, Rachel wäre tot.«
»Das stimmt. Waren Sie mit ihr befreundet?«
»Das muss ein Irrtum sein. Das muss einfach ein Irrtum sein.« Er wischte sich die Nase mit dem Handrücken ab. »Wenn Sie mir erlauben würden, bei ihr anzurufen, würden Sie gleich sehen, dass es ein Irrtum ist.«
»Tut mir leid. Wie heißen Sie?«
»Madinga. Madinga Jones.«
»Es ist kein Irrtum, Madinga, und es tut mir leid, weil ich sehe, dass sie eine Freundin von Ihnen war. Wie lange haben Sie sie gekannt?«
»Das ist unmöglich. Das darf nicht sein.« Er fuhr sich mit den Händen durchs Gesicht. »Sie hat letzten Sommer, Anfang letzten Sommer hier begonnen. Sie geht aufs College und braucht deshalb den Job. Manchmal gehen wir zusammen aus.«
»Sie standen einander also ziemlich nahe. Waren Sie ein Paar?«
»Wir waren miteinander befreundet, das war alles. Ich habe eine Freundin. Aber manchmal haben wir zusammen eine Kneipentour gemacht oder uns einen neuen Videofilm angesehen.«
»Hatte sie einen festen Freund?«
»Niemand Speziellen. Sie hat ihre ganze Zeit für ihr Studium gebraucht. Sie hat Tag und Nacht nur gelernt.«
»Hat sie je davon gesprochen, dass sie von irgendwem belästigt wird? Vielleicht von irgendeinem Typen, der doch was Festes wollte?«
»Ich... tja, da war dieser Typ, den wir einmal in einem Club getroffen haben. Danach ist sie einmal mit ihm ausgegangen, in irgendein Restaurant, das ihm gehörte oder so. Aber sie meinte, er wäre ein Grabscher, und hat ihn deshalb abserviert. Das hat ihm nicht gefallen, und eine Zeit lang hat er sie immer wieder angemacht. Aber das ist Monate her. Das muss vor Weihnachten gewesen sein.«
»Haben Sie auch einen Namen?«
»Diego.« Er erschauderte. »Den Nachnamen kenne ich nicht. Sah ziemlich geschniegelt aus und hatte todschicke Klamotten an. Ich habe ihr sofort gesagt, dass er ein Aufreißer ist, aber er konnte tanzen, und sie hat gern getanzt.«
»In was für einem Club war das?«
»Im Make The Scene. Oben am Union Square, wo die Vierzehnte abgeht. Er – er hat sie doch wohl nicht vergewaltigt, bevor er sie dort reingeworfen hat?«
»Das weiß ich noch nicht.«
»Sie war noch Jungfrau.« Seine Lippen fingen an zu zittern. »Sie hat gesagt, sie wollte es nicht einfach tun, nur um es zu tun. Ich habe sie öfter damit aufgezogen, Sie wissen schon, es war ein Spaß, wie man ihn unter Freunden macht. Wenn er ihr das angetan hat...« Der Tränenstrom versiegte, und sein Blick wurde stahlhart. »Dann müssen Sie ihm auch wehtun. Sie müssen ihm so wehtun, wie er ihr wehgetan hat.«
Als sie wieder draußen stand, schüttelte Eve missmutig ihren Kopf und wünschte, sie hätte ihre Sonnenbrille nicht schon wieder verlegt. Sie hatte keine Ahnung, wo sie das verdammte Ding verschusselt hatte.
»Das Bein ist tatsächlich gebrochen«, informierte ihre Assistentin sie. »Außerdem hat er eine verrenkte Schulter und irgendeinen Schaden an der Rotatorenmanschette.«
»Was?«
»Summerset. Roarke hat gesagt, dass sie ihn über Nacht im Krankenhaus behalten werden, dass er aber Vorkehrungen trifft, damit man ihn im Anschluss zu Hause pflegen kann. Da er sich außerdem am Knie des nicht gebrochenen Beines eine starke Prellung zugezogen hat, wird es eine ganze Weile dauern, bis er wieder laufen kann.«
»Scheiße.«
»Oh, und Roarke lässt Ihnen ausrichten, dass er Ihre Sorge um den Patienten zu schätzen weiß und ihm Ihre Grüße ausrichten wird.«
»Scheiße«, wiederholte Eve.
»Und um Ihre Freude noch zu vergrößern, hat eben Nadines Anwalt angerufen. Sie haben eine Stunde Zeit, um sie zu vernehmen, sonst reicht Channel 75 im Namen von Ms Furst eine...