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Weißes Feuer - Thriller

Weißes Feuer - Thriller

Tiffany D. Jackson

 

Verlag Festa Verlag, 2023

ISBN 9783986760557 , 448 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

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5,99 EUR


 

1

WECKER – 8:05: Zeit für deine Pillen!

Ich vermisse die warmen Sonnenstrahlen.

Ich vermisse das Blau des wolkenlosen Himmels, die Steinstrände, die Berge am Horizont, die Palmen und die stacheligen Kakteen; das Gefühl von feuchter Erde zwischen den Fingern, das Piksen der Aloe-Blätter … Die Erinnerungen bohren sich wie frische Scherben in mein Herz.

Veränderung ist gut. Veränderung ist wichtig. Veränderung ist notwendig.

Seit drei Tagen sehe ich von der Rückbank unseres Minivans aus nur den endlosen Asphalt der Highways. Mit jedem Bundesstaat, den wir hinter uns lassen, wird der Himmel grauer.

Und Mann, ich würde gerade meine rechte Titte dafür geben, endlich etwas anderes als zwielichtige Motels, versiffte Raststätten und Tankstellenklos zu sehen.

»Daddy, sind wir bald da?«, fragt Piper vom Mittelsitz aus, ihr Buch in den Schoß gelegt.

»Nicht mehr lange, Schatz«, antwortet Alec vom Fahrersitz aus. »Siehst du die Stadt da am Horizont? Bis dorthin sind es noch ungefähr fünf Meilen.«

»Unser neues Zuhause«, ergänzt Mom mit einem zuversichtlichen Lächeln, während sie ihre goldbraunen mit Alecs blassen Fingern verschränkt.

Piper beobachtet die beiden mit angespanntem Kiefer.

»Ich muss aufs Klo. Jetzt gleich!«, fährt sie mit einer atemberaubenden Arroganz fort, die die ohnehin schon schlechte Luft im vollgestopften Van noch dicker macht.

»Ernsthaft, schon wieder?«, murmelt Sammy leise vor sich hin, während er sich zurückhält, seinen Frust nicht an einem Comicbuch auszulassen. Buddy, unser Schäferhundmischling, stupst Sammys Arm an und fordert ihn dazu auf, ihn weiter hinter den Ohren zu kraulen.

»Aber wir sind doch fast da, Schatz«, erwidert Mom, die über das ganze Gesicht strahlt. »Meinst du, du hältst es noch ein bisschen aus?«

»Nein«, blafft Piper. »Es ist ungesund, sich das Pinkeln zu verkneifen. Das hat Grandma gesagt.«

Mom lächelt gezwungen und dreht sich wieder nach vorn. Sie tut ihr Bestes, um Pipers frostige Stimmung aufzutauen, aber allen Versuchen zum Trotz bleibt sie ein sturer Eisblock.

Während Sammy an seinem Fruit-Roll-up knabbert, nimmt er einen Kopfhörer aus dem Ohr und lehnt sich zu mir herüber.

»Laut Google Maps sollte diese Playlist für die gesamte Fahrt reichen, aber ich hab sie jetzt schon zweimal durch«, flüstert er. »Ich hätte einen Tag mehr für unseren kleinen Durchlauferhitzer einplanen sollen.«

Piper bleibt ruhig sitzen, reckt den Kopf und tut so, als hätte sie ihn nicht gehört. Aber das hat sie. Sie hört alles. Das habe ich innerhalb der letzten zehn Monate über sie gelernt. Sie schnappt alles auf, speichert jede Information ab und spinnt daraus ihre Intrigen. Pipers rotblondes Haar passt zu ihren kupferfarbenen Sommersprossen und den hellrosa Lippen, die sie nur selten zum Lächeln benutzt. Sie ist blass wie ein Geist – so blass, dass ich finde, wir hätten schon allein deshalb in Kalifornien bleiben sollen, damit die Sonne ein bisschen Farbe auf ihren bleichen Wangen hinterlässt.

»Wir nehmen die nächste Ausfahrt und suchen nach einer Tankstelle«, sagt Alec zu Mom. »Ist doch kein Problem, oder?«

»Ähm, nein«, antwortet Mom und lässt seine Hand los, um ihre langen Dreadlocks zu einem Dutt hochzustecken. Wann immer ihr eine Situation unangenehm ist, fummelt sie an ihren Haaren herum. Ich frage mich, ob das Alec je aufgefallen ist.

Veränderung ist gut. Veränderung ist wichtig. Veränderung ist notwendig.

Während wir die Vergangenheit immer weiter hinter uns lassen, um einer ungewissen Zukunft entgegenzufahren, habe ich mir dieses Mantra mindestens schon eine Million Mal vorgebetet. Ungewissheit ist nicht unbedingt etwas Schlechtes, aber wenn man nicht aufpasst, wird sie schnell zu einem mentalen Gefängnis. Mein Guru hat mir dieses Mantra als Rettungsring ans Herz gelegt, wann immer mich die Gedanken zu ertränken versuchen – damit ich durchhalte, bis mich das Universum an das nächste Ufer spült. Die letzten drei Monate hat das auch wunderbar ohne Beruhigungsmittel geklappt.

Aber dann sehe ich ihn, den schwarzen Fleck auf meiner braunen Haut.

»Nein, nein, nein …«, wimmere ich und verkrampfe, während mich mein Hirn mit Fakten flutet.

SCHON GEWUSST? Im Laufe ihres Lebens legen weibliche Bettwanzen Hunderte von Eiern, von denen jedes so klein wie ein Staubkorn ist.

Vor meinem geistigen Auge kollidieren sämtliche Autos auf dem Highway. Meine Haut fühlt sich an, als stünde sie in Flammen.

Mit jeder verstreichenden Sekunde werden Hunderte, vielleicht Tausende von Eiern auf meiner Haut und Kleidung abgelegt. Überall auf meinem Körper wiederholt sich der Kreislauf aus Paaren, Schlüpfen, Paaren, Schlüpfen … Ich kann nicht atmen, ich brauche Luft – nein, kochendes Wasser, Hitze, Sonne, Feuer, steckt das Auto in Brand, macht es weg, macht es weg, macht es weg!

Das ist keine Bettwanze, nur ein Fussel. Alles in Ordnung. Dir geht’s gut.

Gut gutgutgut …

Ich schnippe den Fussel aus dem Fenster und halte das gläserne Terrarium auf meinem Schoß fest, bevor mein zuckendes Knie es umwerfen kann. Ich brauche dringend Gras, egal ob Joint, Brownie oder Gummibärchen … Verdammt, gerade würde ich sogar passiv kiffen, so sehr sehne ich mich nach ein wenig Betäubung. Meine angespannten Nerven versuchen sich durch die dicke Haut zu kämpfen, die sie im Zaum hält. Aber ich darf mir jetzt keinen Ausfall erlauben. Nicht vor Sammy und erst recht nicht vor Mom.

Erden – genau, ich muss mich irgendwie erden.

Du schaffst das, Mari. Bereit? Also los.

Fünf Dinge, die ich sehen kann:

  1. Die bläulichen Umrisse der Stadt am Horizont vor mir.
  2. Eine abgebrannte Kirche im Schatten der Bäume.
  3. Eine alte Turmuhr, die falsch geht.
  4. Links von mir, weit in der Ferne, vier weißgraue, fensterlose Gebäude, die wie riesige Betonklötze aussehen.
  5. In der Nähe des Highways eine verlassene Fabrik. Das Unkraut in den Asphaltrissen des Parkplatzes und das Art-déco-Neonschild, das vom Dach baumelt – ›Motor Sport‹ –, verraten mir, dass schon seit Jahren niemand mehr einen Fuß auf das Gelände gesetzt hat. Der Wind, der durch die eingeschlagenen Fenster pfeift, muss sich wie ein Walchor anhören.

Ich frage mich, wie es dort drin wohl aussieht.

Wahrscheinlich ist es nur ein gespenstischer, verrottender Rest des alten Amerikas, völlig versifft und voller Pin-ups aus dem Zweiten Weltkrieg, die irgendwelche Frauen mit Overalls und Nagelpistolen zeigen.

Ich halte mein Smartphone hoch, um den Anblick festzuhalten, als eine Nachricht von Tamara eintrudelt.

T-Money: Mann, seid ihr endlich da?

Ich: Nein. Wir rasen irgendwo ins Nirgendwo.

Ich glaube, Alec entführt uns.

T-Money: Na, dann schmeiß mal deinen Standortverlauf an, damit ich wenigstens deine Leiche finde.

Ich: Außerdem hab ich dein großzügiges Geschenk schon aufgeraucht.

T-Money: Scheiße!!! Jetzt schon?

Ich: Hat nicht mal zwei Bundesstaaten gereicht.

T-Money: Wenn ich’s mir recht überlege, solltest du sofort aus der Mistkarre springen und das Weite suchen.

Tamara ist der einzige Mensch, der mir fehlt. Alle anderen zu Hause können von mir aus elendig krepieren. Ziemlich aggressiv, stimmt’s? Versteht ihr jetzt, warum ich einen Joint so bitter nötig habe?

»Daddy, stimmt mit mir irgendwas nicht?«

Mit ihrer schrillen Stimme könnte Piper selbst Porzellan zerspringen lassen.

Alec blickt seine Tochter im Rückspiegel an. Ihr engelsgleicher Schein trübt seinen Realitätssinn wie immer.

»Aber natürlich nicht! Wie kommst du darauf?«

»Sammy hat mich einen Durchlauferhitzer genannt. Was bedeutet das?«

»Was?«

Typisch Piper. Sie plant immer zehn Schritte voraus und wartet nur auf den richtigen Moment, um zuzuschlagen. Sie spielt Schach, nicht Dame.

Und während mein kleiner Bruder mit unseren Eltern über seine Wortwahl streitet, sitzt Piper nur mit einem selbstgefälligen Grinsen da und beobachtet die Stadt, die sie zweifellos für sich erobern wird.

Habt ihr je die erste Folge von The Walking Dead gesehen? Ihr wisst schon, die Folge, in der Rick Grimes im Krankenhaus aufwacht und keine Ahnung hat, was in den letzten 48 Stunden passiert ist, nur um dann durch die verwüsteten Straßen zu reiten und überrascht festzustellen, dass zwischenzeitlich die ganze Welt vor die Hunde gegangen ist? Tja, genau so fühlt es sich an, die trostlose Autobahn in Richtung Cedarville entlangzufahren.

Piper lehnt sich näher an das Fenster und kneift die Augen zusammen. »Daddy, hat es da gebrannt?«

Ich folge ihrem Blick bis zu den verbrannten Häuserreihen an der Straße.

»Ähm, kann sein, Schatz«, antwortet Alec und kneift ebenfalls die Augen zusammen. »Oder die Häuser sind einfach nur … sehr alt.«

»Warum setzt die niemand instand?«

»Tja, die Stadt hatte in der Vergangenheit ein paar … finanzielle Schwierigkeiten. Aber es geht wieder bergauf. Deswegen sind wir ja hier!«

Sammy stupst mich an. »Mari, schau mal.«

Auf seiner Seite...