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Tot durch Franken

Helmut Vorndran

 

Verlag Emons Verlag, 2012

ISBN 9783863581770 , 254 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

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9,99 EUR


 

La Stazione

Das »La Stazione« war eine echte Ausnahmeerscheinung. Normalerweise plante ein Gastronom mit Anspruch sein Restaurant nicht inmitten der allergrößten Wüste. Vor allem als Italiener wollte man ja auch ab und an unter seinesgleichen weilen und nicht bar jeglicher Zivilisation in den Weiten der fränkischen Lande sanft entschlafen.

Doch auf den ersten Blick hatte Josef Sanfilippo genau das getan, indem er sich in der tiefsten Ödnis mit einem einsamen Wiesengrundstück als Nachbarn im Itzgrund niedergelassen hatte. Hier, am gefühlten Rande des Universums, war ein hübsches Restaurant mediterraner Prägung mit wunderschöner Terrasse und einem gigantischen Kinderspielplatz in den Itzwiesen entstanden.

Und tatsächlich waren im Laufe der Jahre immer mehr Raumschiffe mit Gästen aus dem Zentrum der Galaxis gekommen, etwa aus Coburg, Bamberg oder von noch weiter entfernten Planeten, um sich hier, im Vorzimmer der Zivilisation, mit deutsch-italienischer Küche verwöhnen zu lassen. Josef Sanfilippo, Sohn eines Fischhändlers aus dem sizilianischen Catania, hatte es geschafft, zum allgemein bekannten Geheimtipp zu avancieren. Dies war allerdings nur durch eiserne Disziplin und gezielte Auswahl seines Personals möglich geworden. Interessanterweise wurde in der Küche und hinter der Theke im seltensten Falle deutsch gesprochen, vielmehr herrschte eine seltsame Vielfalt europäischer Sprachen vor wie Russisch, Ukrainisch oder auch Thüringisch.

Es war ein lauer Samstagabend im Mai, und die letzten Gäste saßen noch auf der Terrasse, um sich genüsslich dem Rotwein hinzugeben, der im Glas kreiste. Eine weibliche Angestellte des Servicebereiches war bereits dabei, die wieder freien Tische zu säubern und alles für den nächsten Tag vorzubereiten. Ansonsten war niemand zu sehen, und auch die Küche war menschenleer. Es roch geradezu nach Betriebsratsversammlung oder interner Geburtstagsfeier, aber nichts dergleichen war im Gange. Nein, die Belegschaft des Restaurants »La Stazione« war im »Casa Catania« versammelt, was nichts anderes war als ein als Kühlraum getarntes Refugium für besondere Angelegenheiten und italienische Termine des Don Sanfilippo.

Auf einem einfachen Holzstuhl, dessen geflochtene Sitzfläche schon rechts und links ausfranste, saß Hans Aschenbach, Auszubildender im ersten Lehrjahr, aus dem thüringischen Heldburg.

Don Sanfilippo wollte den Stuhl schon seit Längerem in der Korbflechterstadt Lichtenfels reparieren lassen, aber da ihm die Polizei den Führerschein wegen Trunkenheit geklemmt hatte, war er seitdem nur noch heimlich mit seiner Vespa unterwegs und musste derartig mobiliarische Maßnahmen erst einmal verschieben.

Nicht verschieben würde er hingegen erzieherische Notwendigkeiten seinen Auszubildenden betreffend. Er, Josef, saß Hans Aschenbach ebenfalls auf einem Stuhl gegenüber und funkelte ihn drohend mit süditalienischem Blick an, während die restliche Belegschaft mit betroffenem Gesichtsausdruck um die beiden herumstand. Hans Aschenbach seinerseits war mit grauem Klebeband um den Oberkörper an seinen Stuhl gefesselt, seine mageren Füße standen in einem großen verzinkten Blecheimer. Mit großen Augen starrte er seinen Chef an. Eigentlich hätte man erwarten können, die blanke Panik würde in ihm fröhliche Urstände feiern, aber nichts dergleichen passierte: Der Auszubildende Aschenbach wirkte eher leicht amüsiert als alles andere.

Vor seinem Mund schwebte ein kleiner Kaffeelöffel mit einer noch kleineren Portion des heutigen Desserts. Er wurde gehalten von den kurzen, dicken Fingern seines Chefs. Der Dessertlöffel näherte sich unerbittlich seinen zusammengekniffenen Lippen. Jetzt wurde es Hans Aschenbach doch ungemütlich. Verzweifelt und an den Stuhl gefesselt wollte er mit diesem nach hinten rutschen, was ihm aber nicht gelang, denn der muskulöse Chefkoch aus Kiew, Dimitri Guseva, wusste derartige Ortsveränderungen zu verhindern.

»Iss das«, befahl Josef mit tonloser Stimme und fuchtelte mit dem Löffel wie mit einem Dolch in Richtung Gesichtsmitte Aschenbachs herum.

»Nein«, presste der widerspenstige Stift zwischen geschlossenen Zähnen hindurch.

Don Sanfilippo bewegte nur unmerklich den Löffel, woraufhin Dimitri Guseva den Kopf des Azubis packte und mit gewaltigen Kräften Ober- und Unterkiefer des Delinquenten auseinanderhebelte. Selbst ein Alligator aus den dampfenden Sümpfen des Mississippi hätte sich den ukrainischen Bärenkräften beugen müssen.

Langsam und genüsslich schob der Chef des Hauses die kleine Portion in den Mund des Lehrlings, den Guseva wieder zuklappte. Kurze Zeit später verzogen sich die Gesichtszüge Aschenbachs zu einer hässlichen Fratze, und seine Augen begannen zu tränen.

»Und, schmecken dir das Tiramisu?«, fragte der Chef seinen Lehrbuben lakonisch, während dieser die Nachspeise hektisch und angeekelt ausspuckte.

»Schmeckt scheiße«, stieß er aus.

Der Don beugte sich auf seinem Stuhl nach vorn, bis seine Augen nur noch wenige Zentimeter von denen Aschenbachs entfernt waren. »Ach, ist das so? Schmecken natürlich scheiße, wenn man Knoblauch in Tiramisu rühren, stronzo! Kannst du mir sagen, warum du das machen, du Idiot?«, schnaufte er mit puterrotem Gesicht, sprang von seinem Stuhl auf und lief erregt im Raum hin und her.

»Ich hasse Knoblauch«, gab Aschenbach nach einem kurzen Moment trotzig von sich.

Der sizilianische Restaurantchef blickte ihn fassungslos an. »Vaffanculo!«, brach es laut aus ihm heraus. »Du magst keine Knoblauch? Aber warum tust du dann Knoblauch in meine Tiramisu, du Idiot, hä? Drei ganze Knollen?« Dann fluchte er noch etwas Unverständliches in seinen nicht vorhandenen Bart, während der wenig einsichtige Hans Aschenbach eine bockige Miene aufsetzte. »Bei die Jungfrau Maria, du tust doch nie Knoblauch in Essen! Haben sonst immer Streit mit dir, weil ich sagen, du müssen machen Knoblauch überall hinein in italienische Essen, stronzo! Nudeln, Fisch, Fleisch, Suppe, überall. Aber du nicht wollen. Nie!«

Statt Einsicht zu zeigen, setzte Hans Aschenbach ein süffisantes Grinsen auf. »Ich hab jetzt halt überall Knoblauch neigetan – wie befohlen. Auch in des Tiramisu.« Frech grinste er seinen fassungslosen Chef an.

Währenddessen versuchten die im Hintergrund stehenden Bediensteten verzweifelt, ihm Botschaften zukommen zu lassen und gestikulierten in der Luft herum, was der einfältige Aschenbach aber großzügig ignorierte. Stattdessen bedachte er seinen Chef und Ausbilder mit einem mehr als abfälligen Blick.

Das Blut des geborenen Sizilianers kochte. Nur mit Mühe konnte er sich davon abhalten, diesen thüringischen Depp, diesen Saboteur der kulinarischen Sache, nicht sofort, auf der Stelle und eigenhändig auf seinem Stuhl zu erwürgen.

Bleib ruhig, Josef, versuchte er sich zu beruhigen und schloss erst einmal die Augen. Als er sie wieder öffnete, war ein eigentümlicher Glanz in ihnen zu bemerken, was seinen Auszubildenden aber nicht davon abhielt, ihn trotz der eher ungünstigen Verhandlungsposition weiterhin anzugrinsen.

»Alle verlassen jetzt Raum hier«, sagte Josef Sanfilippo mit ruhiger Stimme. »Guseva, du nicht«, fügte er noch schnell hinzu, was der Ukrainer mit einem schiefen Lächeln quittierte. Dann tätschelte er in Vorfreude auf das, was nun passieren sollte, die Wange des gefesselten, aber weiterhin gut gelaunten Aschenbach.

»Was glaubst du, stronzo, was in meinem Restaurant ist größter Posten bei Ausgaben?«, fragte Josef unvermittelt im Stil und in dem Tonfall eines sizilianischen padrone.

Hans Aschenbach musste nur kurz überlegen. »Größter Posten? Na, Knoblauch, hahahahaha.« Er schüttete sich regelrecht aus vor Lachen.

Währenddessen war Dimitri Guseva aus seinem Sichtfeld verschwunden, aber man konnte ihn leise werkeln hören. Ein weiterer ungewöhnlicher Vorgang, der Hans Aschenbach aber nicht im Geringsten beunruhigte.

»Nein«, sagte Sanfilippo in inzwischen ausgesprochen relaxter Stimmung, »ist nicht Knoblauch, Hans, ist Zement …«

Aschenbach fand die Antwort oberwitzig. »Hahaha, Zement! Hab ich mir scho gedacht, haha, damit die Soßen besser abbinden, haha, deswegen schmeckt des Essen auch so!« Der Azubi schien sich königlich zu amüsieren.

Ein kurzes Kopfnicken genügte, und der inzwischen zurückgekehrte Dimitri Guseva klebte mit einer schnellen Handbewegung einen breiten grauen Klebestreifen über den Mund des verblüfften Thüringers. Die Füße des nunmehr mundtot Gemachten zuckten zwar noch kurz und protestierend in ihrem Metalleimer, aber auch das ließ bald nach. Plötzlich saß ein gar nicht mehr fröhlicher Lehrbube schwitzend und ausgepumpt auf seinem Stuhl vor Sanfilippo.

»Nein, stronzo, Zement ist für machen Beton«, sagte der Restaurantchef unschuldig. »Und Beton ist für eliminieren Idioten wie dich von diese Welt, capisci

Kaum gesagt, schüttete Dimitri Guseva auch schon den soeben angerührten Beton in den Metalleimer. Hans Aschenbach versuchte irritiert nach unten zu schauen, doch die perfekte Klebetechnik Dimitris hinderte ihn daran. Erstaunt bemerkte er, wie der Beton umgehend Anstalten machte, sich zu verfestigen. Seine Füße konnte er jedenfalls nicht mehr aus dem Eimer nehmen.

»Ist Fixbeton, macht schnell hart«, half ihm Dimitri Guseva auf die Sprünge. Die Augen von Aschenbach hetzten von einem zum anderen. Allmählich schwante ihm, dass das alles hier nicht mehr zum normalen Ausbildungsprogramm eines Kochlehrlings gehörte.

Don Josef stand auf und blickte kurz nach draußen. Die letzten Gäste waren inzwischen gegangen, nur die Bedienungen...