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Mordschwarzwald - Kriminalroman

Bernd Leix

 

Verlag Gmeiner-Verlag, 2013

ISBN 9783839240946 , 240 Seiten

10. Auflage

Format PDF, ePUB, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

2


Der nächste Coup geschah in der Nacht zum vierten Januar.

Starker Schneefall war bereits seit zwei Tagen vorhergesagt worden. Ideale Bedingungen, die geplante Tat umzusetzen.

Der letzte Unimog des Räumdienstes hatte den Ruhestein an der Schwarzwaldhochstraße gegen 22 Uhr passiert. Bis mindestens drei Uhr am nächsten Morgen war mit keinem weiteren Schneepflug zu rechnen.

Um ein Uhr kämpfte sich ein dunkelgrauer Subaru–Kombi von Baiersbronn – Obertal her die vielen Kurven der Ruhesteinstraße hinauf. Trotz Allradantrieb brauchte es viel Schwung und fahrerisches Geschick, um mit dem Fahrzeug bei schwerem nassem Neuschnee die Passhöhe zu erreichen. Dicke Flocken, fast waagerecht getrieben von einem starken Südwestwind, blendeten im Fernlicht und erschwerten die Orientierung ungemein. Die beiden Insassen des Wagens kannten sich aber sowohl mit der Strecke als auch mit den Widrigkeiten des Schwarzwaldwinters bestens aus und bogen zielsicher auf den Parkplatz unterhalb des Skiliftes ein. Dort verbargen sie den Wagen im Schatten eines hohen Schneewalles. Dieser Vorsichtsmaßnahme hätte es aber gar nicht bedurft, denn kein weiteres Fahrzeug getraute sich, bei diesem Schneesturm in der tiefen Nacht über den Ruhesteinpass zu fahren.

Ohne Worte stiegen sie aus. Weiße Flecktarnanzüge aus Bundeswehrbeständen machten die zwei Männer in der weißen Hölle nahezu unsichtbar. Sie zurrten die Bänder ihrer Kapuzen fest, der eine nahm einen Kunststoffeimer, der andere einen breiten Pinsel aus dem Kofferraum des Kombis. Dann stapften sie los, durch den nassen Neuschnee im Schutz der aufgetürmten Schneeberge bis zum oberen Ende des langgezogenen Parkplatzes.

Trotz des Schneetreibens war die Nacht nicht völlig dunkel. Das Weiß brachte eine leichte Helligkeit über die Landschaft, woran sich ihre Augen bald angepasst hatten.

Sie brauchten nur fünf Minuten, bis sie vor dem imposanten Gebäude standen.

Die Villa Klumpp, letztes Zeugnis einer längst vergangenen Hotelära, beherbergte seit einigen Jahren das Naturschutzzentrum Ruhestein, kurz NAZ genannt. Mit hohem finanziellem Aufwand verschiedener öffentlicher und privater Geldgeber und enormem persönlichen Engagement der Mitarbeiter war unter dem Dach einer Stiftung diese Einrichtung geschaffen worden. Mit sehenswerten Ausstellungen und einer Vielzahl von Veranstaltungen wurde den Besuchern die Einmaligkeit der Schwarzwaldnatur nähergebracht. Wildniscamps, Schneeschuhwanderungen und geführte Touren über die Grinden gehörten genauso zum Programm wie naturpädagogische Angebote für Kinder. Sehr gefragt waren auch Führungen über den Lothar-Pfad, der mit vielen Auf- und Abstiegen über die umgeworfenen Bäume führte, die der Weihnachtsorkan von 1999 brutal entwurzelt hatte. Auf einer ausgesuchten Fläche neben der Schwarzwaldhochstraße waren sie nicht beseitigt worden, um so die natürliche Dynamik aufzuzeigen. Mittlerweile hatte sich dort im Schutz der vermodernden Baumleichen ohne jegliches menschliches Zutun ein sehr artenreicher Jungwald entwickelt.

Seit Beginn der Diskussion, ob im Nordschwarzwald ein Nationalpark eingerichtet werden soll, wurde das Naturschutzzentrum als Keimzelle dieser Idee angesehen. Die Teile der Bevölkerung, die ein solches Großschutzgebiet rigoros ablehnten und es mit allen Mitteln bekämpften, betrachteten das NAZ und seine Mitarbeiter deshalb mit stetig zunehmender Feindseligkeit.

Was die beiden jungen Männer in ihren Tarnanzügen an die Sandsteine des historischen Gebäudes und an die Umfassungsmauer schmierten, war wieder eindeutig: N E I N

Die Botschaft konnte nicht missverstanden werden: Hände weg von unserem gepflegten Wald, Hände weg von unserer Heimat!

N E I N

Nach einer Viertelstunde war jede vom Erdboden aus erreichbare Fläche rings um die ehrwürdige Villa mit den blutroten Buchstaben beschmiert. Einer hielt den Eimer parat, der andere pinselte im Eiltempo.

Der Sturm jagte heulend dichte Schneeschwaden vor sich her und übertönte jegliches weitere Geräusch. Er hüllte alles knietief in eine schwere feuchte Watte und deckte die Fußspuren der jungen Männer sofort wieder zu – beste Voraussetzungen, um den Plan ungestört zu Ende zu bringen.

Allerdings deckte das Weiß auch die Unebenheiten im Gelände zu. Zwei Mal war der Bursche, der den Eimer trug, schon gestolpert. Mit Mühe und Not hatte er sich noch abfangen können. »Mensch, pass doch uff!«, hatte ihn der andere ungehalten angeraunzt, doch es nutzte nichts. Direkt vor der Haustür glitt der Eimerträger wieder aus. Dieses Mal hatte er keine Chance. Es zog ihm den Boden unter den Füßen weg, der Mann flog rückwärts in den Schnee und der Farbeimer entleerte sich laut polternd gegen die Haustür.

Augenblicklich erschallte von drinnen wütendes Hundegebell. Die beiden Kerle erstarrten vor Schreck. Wenig später flammte im oberen Stock Licht auf.

»Los, nichts wie weg!« In panischer Angst, der Hund könnte ins Freie gelassen werden, rannten die zwei, so schnell es die hohe Schneelage zuließ, zurück zu ihrem Wagen.

Sie rissen die Türen auf und ließen sich auf die Sitze fallen.

»Abfahrt, gib Gas!«

Der Fahrer startete den Motor und trat das Pedal voll durch. Ein kräftiger Ruck am Lenkrad – das Wendemanöver mit ausbrechendem Heck gelang auf Anhieb, doch beim Einfahren in die Straße musste ein Schneepfahl dran glauben. Krachend zersplitterte das Holz. Vor Schreck trat der Fahrer voll auf die Bremse. Der Wagen rutschte quer über die Straße und blieb dort im Schnee stecken. »Mann!«, brüllte sein Kumpan.

Rückwärtsgang rein, raus aus dem Haufen, Glück gehabt. »Allrad«, grinste der Kerl am Steuer. »Mit jedem anderen Karren wären wir stecken geblieben!« Dann wieder Vollgas. Runter ins Tal. Weiterhin dichtes Schneetreiben. Sichtweite maximal 30 Meter. Alle Leitpfosten zugeweht, nur die langen Schneepfosten als Orientierung.

Als Einheimische kannten sie die Strecke in- und auswendig, bei jedem Wetter, zu jeder Jahres- und zu jeder Tageszeit. Doch jetzt waren sie in Panik und die Sicht total schlecht.

Die Linkskurve kam völlig unerwartet. Der Wagen war viel zu schnell, schleuderte mit der Breitseite nach rechts, durchbrach den Schneewall, knallte hart gegen die Leitplanke dahinter und schrammte funkensprühend fünf Meter daran entlang.

Hektisch riss der Fahrer am Steuer. Der Subaru stellte sich quer, drehte einmal um die eigene Achse, brach erneut durch den Schnee und  Abflug!

Direkt nach dem Ende der Leitplanke schoss das Auto den Steilhang hinunter. Schneller und schneller wurde der alte graue Kombi. Nichts, was ihn aufhielt. Knirschend schanzte er über zwei Felsblöcke, dann kam die Tanne.

Ein infernalisches Krachen – Stille! Totenstille!

Bewegungslos hingen die jungen Männer in den Splittern der Frontscheibe. In breiten Bächen rann ihnen das Blut über die kurzgeschorenen Schädel. Scharfer Benzingeruch durchzog den nächtlichen Winterwald. Ein losgerissenes Kabel im völlig zerstörten Motorraum schlug Funken 

Das Feuer erlosch nach einer halben Stunde von selbst, doch erst um halb elf Uhr am folgenden Vormittag entdeckte der Beifahrer eines Lastwagens das bereits wieder schneebedeckte Wrack tief unterhalb der Fahrbahn.

Noch vor dem Rettungsdienst und der Polizei war die örtliche Feuerwehr aus Baiersbronn – Obertal am Unfallort.

Ein Blick von der Straße aus genügte dem Kommandanten. »Unfallfahrzeug im Steilhang. Mit Seilsicherung zur Lageerkundung.«

Er teilte zwei junge sportliche, aber dennoch bereits erfahrene Männer ein. Gehalten durch ihre Kameraden tasteten sie sich an langen Seilen Schritt für Schritt durch das tief verschneite, felsige Gelände nach unten. Immer wieder brachen sie bis zur Hüfte in zugewehte Löcher ein oder sie rutschten ab, weil ihre Sohlen auf der vermoosten Oberfläche eines Felsens keinen Halt fanden. Die letzten zehn Meter waren sogar so steil, dass sie es vorzogen, sich umzudrehen und rückwärts auf allen Vieren weiter hinunterzukrabbeln.

Trotz der Minusgrade waren die Männer vor Anstrengung völlig nassgeschwitzt, als sie endlich am Heck des Fahrzeugwracks ankamen. Der Schweiß tropfte unter ihren Feuerwehrhelmen hervor und lief über die Gesichter.

»PKW hat gebrannt«, gaben sie ihren ersten Eindruck über das Handfunkgerät als Lagemeldung durch. Dann arbeiteten sie sich seitlich am Wagen entlang. Durch die geborstenen Scheiben konnten sie zwar ins Innere des Fahrzeugs sehen, hatten aber große Mühe, etwas zu erkennen. Alles voll mit hereingewehtem Schnee, dickes Weiß bedeckte verkohltes Schwarz.

Vorn am Wagen war das chaotische Bild der Zerstörung besonders unübersichtlich. Durch den Aufprall an dem dicken Baum hatte sich die Motorhaube hoch aufgefaltet. Jetzt, nach Stunden war von dem Blechberg nichts mehr zu sehen, nichts als ein unförmiger Schneehaufen. Genauso auch im Bereich der zersplitterten Frontscheibe. Einer der Feuerwehrleute versuchte mit seinen dicken Handschuhen den Schnee zur Seite zu schieben. Jäh wich er zurück. Was er freigelegt hatte, ergab ein schauerliches Bild: schwarz verbranntes Fleisch, verkohlte Haarstoppeln, aufgeplatzte Kopfhaut, die Augen noch ganz, aber prall und riesengroß aus ihren Höhlen getreten, kurz vor dem Bersten.

Der zweite Feuerwehrmann machte auf der Beifahrerseite des Wagens dieselbe grässliche Entdeckung. »Zwei Personen, tot, verbrannt«, keuchte er in das Funkgerät.

Eine grausige Ahnung durchfuhr ihn. So schnell er konnte, hastete er durch das knietiefe Weiß...