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Albträumer

Andy Strauß

 

Verlag UBOOKS, 2010

ISBN 9783866086258 , 176 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz DRM

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1,99 EUR


 

1

Feuer und Flamme für Annabette

In der Fernsehzeitschrift, die alle vierzehn Tage ins Haus schneit und mit deren Hilfe ich die Abende von zwei Wochen im Voraus planen kann, ist Pretty Woman als Tagestipp für einen Donnerstag besonders hervorgehoben. An diesem Donnerstag wird es genau zwei Monate, also vier Fernsehzeitschriften her sein, dass ich Annabette zum letzen Mal gesehen habe. Vielleicht wäre alles ganz einfach, wenn ich nicht zu früh aufgegeben hätte, aber es war viel zu viel in zu viel zu kurzer Zeit geschehen. Dabei hatte alles so gut angefangen mit uns.

Zum ersten Mal trafen wir uns auf dem Markt. Sie stand hinter zahllosen Boxen und Kisten voller Kartoffeln, Spargel und Zwiebeln, flankiert von Tischen mit frischem Obst aus fernen Ländern. Marktfrau, wie sie war, feilschte sie mit jedermann und reichte ihren Abnehmern nach abgeschlossenem Handel meist noch ein Stück kostenloses Obst mit ihren fingerkuppenfreien Wollhandschuhen, die sie vor der plötzlich wiedergekehrten Kälte des schon fortgeschrittenen Frühlings schützen sollten. Ihr Körperbau war sicherlich nicht der beste, aber auf jeden Fall war er auch nicht verachtenswert schlecht, nur eben hier ein bisschen zu viel und dort ebenfalls ein bisschen zu viel. Ihre Nase war für die Fülle ihres Gesichtes viel zu schmal geschnitten und man konnte ihr die niedrige Außentemperatur ansehen, ihre Augen glänzten leicht schielend in den Tag hinein. Eingerahmt war ihr Gesicht allerdings von den schönsten Haaren, die wohl jemals ein Mensch auf dem Kopf tragen durfte, pechschwarz, leicht gewellt und gesund. Die Spitzen ragten bis kurz unter den Ort, an dem sich wohl ihre Brustwarzen befanden, und das war bei ihr sehr tief. Als ich vor ihr stand und meinen Spargel bestellte, pustete sie sich eine Strähne aus dem Gesicht, dabei Kondenswolken ausstoßend, die in meine Richtung waberten. Ich war irritiert, ergriffen, konfus und konnte an nichts anderes denken, als diese Wolken in mich einzusaugen. Sie schmeckten wie eine Melange aus Apfelmost und Knoblauch, frisch und verdorben in einem und sie machten, dass es um mich geschehen war. Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass ich immer schüchtern war. So schüchtern, dass ich mich kaum traute, bei der Bäckerin eine Quarkbrezel zu bestellen, aber in diesem Fall schlug mich die Macht der Liebe mit der Wucht einer Dampflok unter Volllast, durchbohrte meine Gedanken, sprengte meine Verhaltensmuster und noch bevor ich begriff, was geschah, waren wir in eine Gespräch verwickelt.

Das laute Treiben des Marktes verstummte unter dem Reigen, den unsere Herzen schlugen. Dass mir ein Taschendieb mein Portemonnaie stahl, war mir egal, ebenso die instabile Situation in Krisen- und Kriegsgebieten oder jegliche Form der Umweltbelastung, die zum Schmelzen der Polkappen führt, plötzlich alles nichtig. Die jäh aufgeflammte Liebe warf einen Vorhang aus Rauch um uns, der uns für alle anderen Menschen der Welt unsichtbar machte. Wir waren eins im Rauch.

Bevor ich sie verlassen musste, verabredeten wir uns für den nächsten Abend um einundzwanzig Uhr in einer Tittenbar. Unser erstes Date sollte etwas außergewöhnliches, für immer in Erinnerung bleibendes werden, da waren wir uns einig. Dann gab sie mir noch das Pfund Spargel, das Kilo Kartoffeln und einen Pfirsich für umsonst mit und frei von Scherz und Schwere tänzelte ich kitschtriefend nach Hause. Die Liebe rumorte in meinen Eingeweiden, und da an Essen nicht zu denken war, verschenkte ich den Spargel weiter an meinen Nachbarn, der in der letzten Zeit sehr traurig wirkte, obwohl er früher so oft im rosafarbenen Bademantel durch den Garten lief und seine Begonien goss. Bis zu unserem Date saß ich die meiste Zeit bei geöffnetem Fenster auf der Toilette, aß zwischendurch ein Paar Salzstangen, trank Cola und ließ per Telefon meine Bankkarten sperren. Ich dachte an sie und was ich wohl machen würde, wenn sie nicht käme. Ich feilte an kreativen Selbstmordmethoden, stellte mir vor, mit einer Achterbahn zu fahren und gerade an dem Punkt, an dem der Achterbahnwagen ganz oben ist, ganz kurz, bevor er in die Tiefe stürzt, einen Anker nach hinten auszuwerfen, der mit einem Seil um meinen Hals befestigt ist. Dachte daran, mit einer falschen Waffe Polizisten zu drohen und dafür fünf Warnschüsse in den Kopf zu kassieren. Dachte an vieles, bis sich dann rausstellte, dass ich umsonst gedacht hatte, denn sie war am nächsten Abend tatsächlich gekommen. Und sie war schön, noch überragend viel schöner als vorher. Ihre Funktionskleidung vom Markt war ersetzt durch anziehende Kleidung, deren Funktion eher das Verhüllen unattraktiver Teilchen und das Hervorheben der Sahnestücke war. Und Sahnestücke hatte Annabette wirklich, richtige Sahnetorten waren es fast, und ich konnte es kaum erwarten, die Kirschen von oben zu naschen. Ihre Haare waren in einem wohl langwierigen Akt in eine Form gebracht, die berauschender nicht sein konnte und ihre Pickel hatte sie mit einem Abdeckzauberstift unter die Oberfläche gehext. Sie war Rubens Traum, eine Wuchtbrumme mit Mannequinappeal und sie ließ die Tänzerinnen in der Tittenbar alt aussehen, egal wie viel und womit diese wackelten.

Wir waren berauscht von einander, tranken Wodka, Sambuca und Rum, leckten heftig in einem Separee, berührten uns überall und es gab wirklich viel zu berühren an ihr. Irgendwann gegen fünf Uhr morgens kamen wir dann zu dem Schluss, bei ihr zu Hause weiter zu machen, denn der Alkohol ließ uns zwischenzeitlich bereits häufiger abwechselnd in traumlose Sekundenschläfe fallen. Nachdem ich meine Kleidung und sie ihren Körper zurechtgerückt hatte, torkelten wir gen Bar, um dort noch einen letzten Absacker zu nehmen. «Mein Richard Gere», flüsterte sie mit träger Zunge, als ich ihren Deckel von meinen letzten Barreserven bezahlte und meine Ohren wurden dabei nass. «Meine kleine, fette Esmeralda», dachte ich und bevor ich es schaffte, ihr in den Hintern zu kneifen, knallte der Barkeeper die Shotgläser mit dem Schlummertropfen auf den Tisch. Wir hatten zwei Zentiliter bestellt, bekam als meistkonsumierende Kunden des Abends aber zur Belohnung vierzig Milliliter vorgesetzt. Der Stifter dieser Bonusration schien nicht nur Barkeeper, sondern auch Besitzer des Ladens zu sein, leicht daran zu erkennen, dass er die sowohl die einzige männliche Bedienung als auch – zum Glück – die einzige Bedienung mit Kleidung oberhalb der Gürtellinie war. Er hatte schmierige, viel zu gegelte Haare und in der linken Ecke seines obszönen Grinsens glänzten zwei bis drei Goldzähne. In seiner rechten Hand hielt er ebenfalls ein Schnapsglas, das er anprostbereit in unsere Richtung reckte und, wie um sich zu rechtfertigen, schleimte er mit angehobener Augenbraue: «Ich wollt mit euch Rum machen.» Annabette, der dieser niveaulose Witz anscheinend gefallen hatte, griff nach ihrem Glas, holte zum anstoßen aus und lallte dem Brustherbergsvater tief aus ihrem Magen «Du bisss widssssig» entgegen. Die Kombination aus den Aufgaben Glas festhalten und Arm in Richtung anderes Glas bewegen war dann im nächsten Augenblick anscheinend gehörig zu viel Multitasking für ihr überflutetes Gehirn, wobei ich noch davon ausgegangen war, dass sie aufgrund ihrer Masse mehr Alkohol vertrüge als ich. Erst fiel ihr Glas auf den Tresen, dann ihr Kopf hinterher.

Als sie nur wenige Minuten später wieder zu sich kam, hatten wir die drei feinen Schnitte, die Teile ihres Schnapsglases in ihrem Gesicht hinterlassen hatten, bereits mit Pflastern versorgt, denn sie waren nicht zu tief und durch den Alkohol ausreichend desinfiziert. Sie sagte, dass ihr sowas noch nie passiert sei, dann lächelte sie mich an und sagte weiter, dass ich sie regelrecht umhauen würde. Auch ich lächelte ernstgemeint, denn eine Frau mit solchen Haaren und dem Humor in einer Situation wie dieser war mehr als perfekt für mich. Irgendwie fand ich mich in ihr wieder. Wir verließen die Tittenbar, der Schleimbolzen, der mir beim Verarzten unerwartet klar und souverän zur Seite gestanden hatte, warf mir noch einen mitleidigen Blick hinterher, dann erfrischte uns die kühle, frühmorgendliche Luft. Wir waren jetzt nur noch eine Taxifahrt von unserem ersten, gemeinsamen Höhepunkt entfernt und beide von einer Vorfreude erfüllt, die kaum zu bändigen war. Um die Wartezeit auf unseren gerufenen Chauffeur zu verkürzen, zog sie eine Schachtel Zigaretten aus ihrer Jackentasche hervor, steckte mir und sich selbst eine in den Mund, kramte dann erst das Feuerzeug aus ihrer Tasche und entzündete erst meine Zigarette und dannᅠ…

…ᅠhörte ich plötzlich Schreie! Das kannst du dir nicht vorstellen, wie laut das war, voll so, als ob da jemand gerade am abkacken is’! … Klar Mann, ich sofort ans Fenster und rausgeschaut und da rannte dann ne richtig fette Alte … was? … Nee Mann! So richtig fett! … Ja Mann! So richtig richtig fett eben! … Halt’s Maul, ich erzähl das jetzt! Jedenfalls, die rannte da, immer so im Kreis, Alter. Und ey, ich schwör, die hat der Kopf gebrannt! … Neeeee Alter, kein Scheiß, direkt vom dem Stripladen da … ja Mann! Und der Typ bei ihr, so voll der Gammlkerl eigentlich, der stand einfach nur rum und ich denk nur so, Junge, du bist echt ma saucool. Hätt’ ich auch nichts gemacht, bei so ’ner Fetten … Was? … Ne, Alter! Das is ja der Scheiß, Akku war leer … Klar, Alter, fett...