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Man lebt nur zweimal

Heiner Lauterbach

 

Verlag Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2013

ISBN 9783838725932 , 224 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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15,99 EUR

Für Firmen: Nutzung über Internet und Intranet (ab 2 Exemplaren) freigegeben

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WARUM DIESES BUCH?


Stellen Sie sich einmal vor, Romeo Montague – Sie wissen schon, der junge Geliebte Julias, Verona, Balkon und so – wäre mein Jahrgang. Stellen Sie sich weiterhin vor, in letzter Minute wäre der Rettungswagen in der Familiengruft von Verona eingetroffen.

Die Notärzte entdecken Romeo und Julia, wie sie da vergiftet und erdolcht auf dem harten Marmorboden liegen. Stellen Sie sich des Weiteren vor, die Ärzte treffen früh genug ein, um die beiden jungen Italiener wieder ins Leben zurückzuholen. Romeo pumpen sie den Magen aus, stabilisieren seinen Kreislauf mit ein paar Infusionen. Julia bekommt Blutkonserven, noch auf dem Friedhof leiten die Ärzte die Not-OP ein, sie rettet der jungen Frau das Leben. Nach ein paar Wochen werden die beiden kerngesund aus dem Krankenhaus entlassen. Die verfeindeten Familien Montague und Capulet sind sehr gerührt von der Größe einer Liebe, für die ihre Kinder sogar bereit gewesen waren, sich selbst aufzugeben. Sie versöhnen sich nicht erst, wie von Shakespeare vorgesehen, über den Gräbern ihrer Kinder, sondern auf deren Hochzeit. Was gibt das für ein rauschendes Fest! Die Flitterwochen von Romeo und Julia sind fantastisch. Pures Glück: zwei wunderschöne, junge Menschen, das Leben, eben noch bereit, für den anderen geopfert zu werden, jetzt in seiner ganzen Wunderbarkeit noch vor sich.

Die Medien sind aus dem Häuschen. Die Boulevardpresse stürzt sich mit Anlauf auf die beiden, Brad Pit und Angelina Jolie erblassen vor Neid. Was für Bilder und Geschichten! Ich bin mir sicher, jeder Klatschreporter zieht Geschmacksfäden, wenn er nur darüber nachdenkt.

Ja, und dann? Wie wäre es weitergegangen mit den zwei glücklich Verliebten?

Die meisten Geschichten hören genau da auf, wo es eigentlich spannend wird. Nach dem Happy End oder, wie in diesem Fall, nach dem tragischen Unglück. Die meisten Filme handeln von einem Glücksversprechen oder einer Hoffnung, die aber dann, wenn die Drachen getötet und die Verbrecher gefangen sind, im wahren, eigentlichen Leben, nicht mehr eingelöst werden. Eine große Liebe wie die von Romeo und Julia muss nicht den Beweis antreten, dass sie auch den Alltag übersteht. Was meiner Meinung nach die viel größere Herausforderung ist.

Womit hätten die beiden ihre Zeit verbracht – mit Bällen, pardon: Events, wie man heute sagt, Theaterbesuchen? Julia ist zu Beginn der Tragödie nicht einmal fünfzehn Jahre alt. Was, wenn sie sich mit Anfang zwanzig in ihren spanischen Reitlehrer verliebt? Wie gehen die beiden damit um? Wie schaffen sie es dennoch, glücklich miteinander alt zu werden?

Wir werden Romeo nie sehen, wie er gemütlich zu Hause abhängt, Chips futtert und die Sportschau guckt.

Es gibt auch keinen Film darüber, womit sich Pretty Woman und Richard Gere im Jahr fünf ihrer Ehe die Zeit vertrieben hätten. Dabei wäre es durchaus interessant zu erfahren, ob der schnöselige Richard sich weigert, den Müll runterzubringen. Und ob Julia wohl jemals die Angewohnheit ablegt, sich auf die Couch zu legen, ohne diese hohen Stiefel auszuziehen, die ihr bis über die Knie reichen. Vielleicht entdecken die beiden eine gemeinsame Leidenschaft für Kreuzworträtsel oder freuen sich, weil sie eine günstige Rentenversicherung abgeschlossen haben.

Der russische Schriftsteller Leo Tolstoi behauptet am Anfang seines Romans Anna Karenina: »Alle glücklichen Familien ähneln einander; jede unglückliche aber ist auf ihre eigene Art unglücklich.« Ich frage mich, ob die Sozialwissenschaft das schon mal überprüft hat. Selbst wenn es so wäre – warum kenne ich nicht wenigstens einen Roman, der davon handelt, wie es ist, ein zufriedenes Leben zu führen? Während es umgekehrt Millionen Bücher über Familien gibt, deren Leid so groß scheint, dass es kaum zwischen zwei Buchdeckel passt? Wäre es nicht viel nützlicher, einmal zu beobachten, wie man es erreicht, zufrieden zu sein und vor allem: es auch zu bleiben?

Vielleicht sind wir Menschen ein wenig süchtig nach Unglück. Vielleicht messen wir den Extremsituationen manchmal mehr Bedeutung zu als ihrer Bewältigung. Vielleicht sind uns unsere schwierigsten Söhne und Töchter insgeheim die Liebsten.

Keine Frage: Es ist aufregend, Bären zu töten, mit dem Schiff um die Welt zu segeln, um eine Liebe zu kämpfen, sich gegen den Feind zur Wehr zu setzen, Aliens zu jagen, einen Auftragsmörder zu schnappen oder die Schranken zwischen den sozialen Schichten einzureißen. Die Film- und Literaturgeschichte ist voll von diesen Geschichten. Die Menschen mögen das.

Auch mein Leben zwischen Exzessen, Affären und nächtelangen Partys möchte ich um keinen Preis der Welt aus meiner Biografie verbannen. Das war eine wilde Zeit, ich bereue sie nicht. Doch genauso froh bin ich heute, dass ich es geschafft habe, meinem Leben noch einmal eine Wende zu geben. Ich habe mich gefragt: Wäre das nicht eine Erzählung wert? Eine Geschichte über das Glück, das ich heute empfinde. Über die Freude an meiner Gesundheit und der meiner lebenslustigen kleinen Familie? Haben nicht alle gesagt, als ich meine erste Biografie geschrieben habe: »Ja, der spuckt jetzt große Töne. Lasst uns einmal abwarten, wie er in zehn Jahren darüber reden wird.« Viele dachten, ich würde es nicht lange aushalten ohne Wein, Weib und Gesang. Das traute Familienleben, das wäre nichts für mich.

Es gibt da etwas, dass vielleicht noch viel schwieriger zu beschreiben ist als die Wandlung von Mr. Hyde zu Dr. Jekyll: das dauerhafte Glück. Die Fähigkeit, die kleinen Mäkeleien des Alltags zu überstehen, und ein Leben in Gleichmut und Frieden zu führen, ohne große Ausschläge nach oben, aber daher auch nicht mehr nach unten. Die Fähigkeit, seine eigenen kleinen Probleme zu relativeren und sich für das Glück im Alltag zu entscheiden.

Es ist ja eigentlich absurd: Wenn im Kino überhaupt einmal ganz normale Szenen mit ganz normalen, glücklichen Menschen gezeigt werden, dann handelt es sich meist um den Anfang eines Psychothrillers. Das Glück dient in diesem Fall lediglich dazu, das darauf folgende Grauen nur noch schrecklicher über die heile Welt hereinbrechen zu lassen. Fast schon instinktiv ist man als Zuschauer darauf geeicht, mit dem Schlimmsten zu rechnen, sobald nur ein wenig Idyll oder harmonisches Familienleben gezeigt wird. Eine junge Frau, die fröhlich lachend in einen Wald hineingeht? Der Zuschauer ahnt bereits, worauf das hinausläuft. Sie kann eigentlich nur zerhackt und in blauen Müllbeuteln verpackt wieder herauskommen.

Filme, die sich mit der wirklich schwierigen Frage beschäftigen, wie man glücklich wird und wie es nach dem Happy End weitergeht, sie werden so gut wie nie gedreht. Und wenn ich mich in der Welt der Literatur so umschaue, komme ich zu dem Schluss, dass Bücher auch nicht von wirklich glücklichen Menschen geschrieben werden. Zumindest schreiben sie selten über ihr Glück.

Die zehn Jahre nach meinem Bruch mit dem alten Leben sind längst vergangen. Ich bin heute zufriedener, als ich es je war. Es war gar nicht einmal so schwer, das Leben zu ändern. Ich kann auch nicht sagen, dass ich jetzt nicht mehr ich selbst bin, dass der Heiner von früher der echte gewesen ist. Wie auch immer: Es hat sich gelohnt, das Ruder noch einmal herumzureißen. Auch wenn man es sich in besonders schlechten Momenten nicht vorstellen kann – es ist wirklich nie zu spät dafür. Und genau davon möchte ich hier erzählen. Und wenn es nur einen einzigen Menschen gibt, der dieses Buch liest und daraufhin beschließt, es mir gleichzutun, dann lohnt sich das für mich bereits. Denn ganz ehrlich: Alle Partys und Räusche der Welt sind es einfach nicht wert, auf das zu verzichten, was ich heute habe.

Der amerikanische Schriftsteller William Faulkner ist offensichtlich ein direkter Nachfahre Leo Tolstois. Er hat einmal gesagt, dass er nur über unglückliche Menschen schreibt, weil glückliche Menschen langweilig seien: »Nur Gemüse ist glücklich.« Ich will hier nicht über Gemüse schreiben. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass die Kollegen Tolstoi und Faulkner ein wenig übertreiben. Denn die Frage, wie man es schafft, ein zufriedenes Leben zu führen und ob es überhaupt möglich ist, etwas zu ändern, wenn das eigene Leben wie festgefahren scheint, sie wird wohl jeden von uns beschäftigen. Viele wollen vielleicht nicht drüber schreiben, weil sie Angst haben, dass es keiner lesen mag. Ich wage den Versuch.

Ich will aber auch gleich eines sagen: Ich bin natürlich kein Wissenschaftler und ich habe auch keine speziellen Techniken entwickelt oder Mittelchen entdeckt, von denen ich hier berichten könnte. Ich habe auch keine Internetadresse, auf der man dann die Pillen oder Tinkturen dazu bestellen könnte. Ich will auch kein Missionar sein. Meine bescheidene Botschaft ist vielmehr, dass jeder sein Leben ändern kann, so wie ich das gemacht habe – gerade weil ich ein ganz normaler Mensch bin. Davon abgesehen, dass ich Schauspieler bin und mir im Leben vielleicht ein paar krasse Dinge mehr passiert sind als dem Durchschnittsbürger, halte ich mich nicht für anders. Ich bin auch gewiss kein Philosoph oder Theologe, ich habe mir einfach im Laufe der Zeit nur so meine Gedanken über das Leben gemacht.

Woher kommen wir, wohin gehen wir, und was kann man überhaupt wissen über uns und den Stoff, aus dem das alles gemacht ist? Die Wissenschaftler suchen unter Hochdruck nach Antworten, und ich verfolge diese Suche schon seit Jahren sehr gebannt; sei es nun die Suche im Großen, im Weltall, mit seinen schwarzen Löchern, den roten Riesen, Supernovas, der Urknall-Theorie und der Quantenmechanik. Oder, für viele Physiker noch...