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Das ist mein Blut (eBook) - Sailer und Schatz: der erste Fall - Frankenkrimi

Sigrun Arenz

 

Verlag ars vivendi, 2013

ISBN 9783869133171 , 224 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

9,99 EUR


 

 

1

Polizeioberkommissarin Eva Schatz spielte missmutig mit den Akten auf ihrem Tisch und konnte sich nicht entschließen, mit der Arbeit zu beginnen. Mittwoch. Was für ein unerfreulicher Tag. Neben ihrem Ellbogen stand ein Becher mit Kaffee, der jetzt vor allem kalt, aber schon in seinen besten Zeiten nahezu ungenießbar gewesen war. Der wahnwitzig teure Kaffeeautomat, den sich die Station erst vor drei Monaten angeschafft hatte, hatte hervorragenden Kaffee gemacht, aber am vergangenen Mittwoch den Geist aufgegeben und war seitdem in Reparatur. Niemand war sich sicher, ob sie das Gerät je wieder sehen würden. Technik! Eva schüttelte den Kopf und betrachtete ihre kräftigen Hände mit dem eingerissenen Nagel am linken Zeigefinger. Das war der neumodische Kartoffelschäler gewesen. Und da wunderten sich die Leute darüber, dass heutzutage niemand mehr selbst kochte. Außer Irene natürlich, aber das war eine andere Sache.

Eva Schatz seufzte und überlegte sich, ob sie einfach den kalten Kaffee umwerfen sollte. Versehentlich natürlich. Über die Akten. Das würde gleich zwei Probleme auf einmal lösen.

»Eva?«

Ihr Kollege Meier stand auf der Türschwelle.

»Hm?«

»Einsatz. Leiche bei Ellingen. Einheimische wie du gefragt.«

Eva rollte die Augen. Wie Meier immer redete, hielt er sich irrtümlicherweise für ein Telegramm. »Okay, okay, noch mal Klartext. Was ist los?«, fragte sie genervt.

Meier sah sie an, als ob sie nicht ganz bei Sinnen sei, erklärte dann aber in etwas weniger atemlosem Stil: »In Ellingen haben sie eine Leiche gefunden, wahrscheinlich ermordet, erschlagen, wie auch immer. Du sollst der Weißenburger Polizei zur Hand gehen, die wollen jemanden von der Kripo, und da du von dort bist, haben sie dich vorgeschlagen.« Er legte ihr einen Zettel auf den Schreibtisch. »Du sollst dich mit PK Rainer Sailer in Verbindung setzen. Das ist seine Handynummer.«

»Ach, der«, murmelte Eva, die sich an den Weißenburger Kollegen von der berüchtigten Fortbildung »Stress- und Konfliktbewältigung« im letzten Herbst erinnerte. Das einzige, was sie persönlich von der mehrtägigen Veranstaltung mitgebracht hatte, war eine Abneigung gegen Brokkoli und aggressionslösende Interaktionsspiele. »Immer ich«, murrte sie halbherzig und fügte mit einem Blick aus dem Fenster hinzu: »Und das Wetter ist auch danach.« Aber insgeheim war sie dankbar, dem ungenießbaren Kaffee, den langweiligen Akten und der tristen Aussicht ihres Büros auf den Polizeiparkplatz zu entkommen. Eine halbe Stunde später fuhr sie durch einen leichten Nieselregen auf der B 13 am Altmühlsee vorbei, dessen Ufer wie von grauen Schleiern verhangen waren. Spätestens als sie die Ortseinfahrt von Gunzenhausen passierte, fühlte sie sich zwanzig Jahre in der Zeit zurückversetzt. Sie mochte das Gefühl nicht. Die winzigen Bauernkäffer, die kleinen Städte mit ihren schmucken Fachwerkhäusern, die wie Spielzeug aussahen, und den stolzen kleinen Kirchtürmen. Die trägen Sommernachmittage, an denen das Summen der Wespen und das Brummen der Traktoren zu einem einzigen einschläfernden Laut verschmolzen. »Raus hier«, war über Jahre hinweg ihr einziges in Worte fassbares Lebensziel gewesen. Hinter Gunzenhausen nestelte sie im Fahren eine Zigarette aus der Packung im Handschuhfach und verzweifelte an dem Versuch, das Feuerzeug zu finden, das eigentlich auch irgendwo sein musste. Sie gab entnervt auf, als ein LKW-Fahrer auf der Gegenspur sie aggressiv anhupte, nur weil sie während ihrer Suche ein wenig über die Mittellinie geraten war.

Von Ellingens barocker Pracht war nicht viel zu sehen, als sie schließlich am Deutschherrenschloss vorbeifuhr. Der Regen war dichter geworden, die Scheibenwischer arbeiteten sich an der beschlagenen Windschutzscheibe ab, und gerade, als sie über die Brücke hinter dem Schloss kam, klingelte ihr Handy. »Verdammt«, fluchte sie und griff nach dem Gerät. »Ja?«

»POK Schatz?«, fragte eine Männerstimme. »Sailer hier. Sind Sie unterwegs?« Er klang höflich genug, aber Eva hatte keine Mühe, die eigentliche Bedeutung der Frage als »Wo zum Teufel bleiben Sie eigentlich?« zu übersetzen.

»Bin fast da«, erwiderte sie gereizt und steuerte mit einer Hand durch die kurvige Schlossstraße. »Ich fahre gerade!«, fügte sie anklagend hinzu und klappte ihr Handy zu, um die Verbindung zu beenden. Im Regen rauschte sie mit überhöhter Geschwindigkeit den Berg hinauf, ließ dann die letzten Häuser hinter sich und verließ die Stadt auf der Ostseite. Wahrscheinlich hätte sie nach all den Jahren den schmalen, ungeteerten Weg verpasst, der links zum Castrum Sablonetum, den Ruinen des alten Limeskastells, führte, aber die Abzweigung war mit Polizeiband abgesperrt und zwei Dienstwagen standen unübersehbar an der Mündung. Eva stellte ihr Auto ebenfalls ab, packte ihre Regenjacke, die auf dem Beifahrersitz lag, und stieg aus. In den wenigen Sekunden, die sie brauchte, um sie anzuziehen, fühlten sich ihre Schultern bereits unangenehm feucht an. Sie musste nicht mühsam nach ihrer Dienstmarke fischen, denn PK Rainer Sailer kam ihr auf dem von der Polizei gelegten Trampelpfad entgegen.

»Was für ein Wetter«, bemerkte er gutmütig, als hätte es den kurzen unfreundlichen Austausch am Telefon nicht gegeben, und streckte ihr die Hand hin. Er war nicht sehr groß, blond und bestimmt zehn Jahre jünger als sie. »Wir mussten hier schon weitgehend aufräumen«, fügte er mit einem entschuldigenden Blick auf die verhüllte Bahre hinzu, die gerade an ihnen vorbei zum Leichenwagen transportiert wurde. »Der Regen … Aber Sie wollen sich den Fundort sicher trotzdem ansehen.«

Sie gingen hintereinander auf dem Trampelpfad die letzten hundert Meter bis zu den Ruinen des Kastells. Eva sah sich schweigend um. Links lag ein umgepflügtes Feld, dessen braune Erde im Regen fett und schwer glänzte. Jenseits davon, mindestens fünfhundert Meter entfernt, war eine Reihe kleiner Einfamilienhäuser zu sehen. Hinter ihnen die Straße, von der gelegentlich das Rauschen eines Autos zu hören war. Direkt vor ihnen reckte ein Baum seine frischbelaubte Krone in die graue Luft, und dahinter erhob sich, was von der Anlage des römischen Militärlagers Castrum Sablonetum wieder ausgegraben worden war: ein paar Mauern, etwas, was aussah wie das Fundament eines viereckigen Turmes, zu dem eine Treppe hinaufführte, und einige undefinierbare Steingebilde. Eva zog fröstelnd die Schultern hoch und stöhnte: »Ein Alptraum. Eine Leiche im Nirgendwo!«

PK Sailer ließ den Blick über das verlassene Kastell und die umliegenden Felder schweifen und erwiderte mit einem halben Nicken: »Ja und nein. Es war sicher ein guter Ort, um jemanden loszuwerden, aber ganz so verlassen, wie sie aussieht, ist die Gegend nicht. Hier gibt es Spaziergänger, Spaziergänger mit Hunden, die den Feldweg entlangkommen, Liebespaare und junge Leute, die sich in den Ruinen treffen … und noch ein paar ganz andere Gruppen«, fügte er geheimnisvoll hinzu und blieb vor der Treppe stehen. »Touristen natürlich auch«, er deutete auf die Informationsschilder unter dem Baum, die eine Rekonstruktion des ursprünglichen Kastells zeigten und die Geschichte des befestigten Römerlagers skizzierten. »Aber zu der Zeit, wo die Leiche hier abgelegt wurde, wird wahrscheinlich niemand unterwegs gewesen sein.«

»Abgelegt oder zurückgelassen?«, fragte Eva rasch. »Ist das Opfer hier umgekommen oder bloß hier entsorgt worden? Und haben wir schon eine Identifizierung?«

»Gute Frage, gute Frage und gute Frage«, meinte Sailer trocken. »Bislang können wir über gar nichts sicher sein, nur, dass der Tote ein Mann war, um die vierzig, würde ich sagen. Gefunden wurde er dort …« Er führte Eva zu dem mittleren von drei steinernen Vierecken rechts des Turmes. Sie maßen je etwa zweimal zwei Meter, waren einen guten Meter hoch und innen mit losen Steinen halb ausgefüllt. Wie sie so dalagen, ihre ursprüngliche Verwendung nicht mehr erkennbar, Gräser und Schösslinge aus den Mauerritzen wuchernd, erinnerten sie an Särge. Eva stieg auf die mit einer Polizeiplane abgedeckte Mauer und blickte in das mittlere Mauerviereck hinunter. Weißes Klebeband zeigte die Position an, in der der Tote aufgefunden worden war, halb sitzend in einer Ecke, einen Arm im Schoß, den anderen weit ausgestreckt. Hellrotes Blut mischte sich auf den losen Steinen mit dem Regen. »Viel Blut?«, wollte Eva wissen. Ihr Kollege nickte: »Ziemlich.«

»Das spricht dann nicht gerade dafür, dass er von weiter her transportiert wurde.«

Sailer zuckte die Schultern. »Würde ich auch sagen, aber wie die Pathologie immer wieder betont: Man soll keine voreiligen Schlüsse ziehen … Wollen wir zur Station fahren, dann können wir auf die Bilder warten, und ich erzähle Ihnen alles, was wir sonst noch wissen, im Trockenen.«

Sie nickte und folgte ihm zurück über den Polizeipfad, hielt aber noch einmal abrupt inne, als sie an der Treppe zum Turm vorbeikamen. »Haben Sie das untersucht?«, fragte sie scharf. Auf dem Boden war ein geschwärzter Ring zu sehen, in dem ganz offensichtlich ein Feuer gebrannt hatte. Etwas kalte, nasse Asche und diverse Stücke verkohlten Holzes lagen darin herum.

»Klar«, antwortete Sailer. »Wir haben alles mitgenommen, was irgendwie interessant sein könnte. Auch jede Menge Abfall, der hier überall herumlag. Ich würd mir aber nicht zu viele Hoffnungen machen«, fügte er hinzu. »Die Feuerstelle wird von vielen Leuten benutzt, die hierher kommen. Jugendliche und so … Wahrscheinlich hat unser Täter hier keine brauchbaren Spuren hinterlassen.«

Wortlos stieg Eva die vom Regen schlüpfrigen Stufen hinauf und fand sich zwei Meter...