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Dividuell aktiviert - Wie Arbeitsmarktpolitik Subjektivitäten produziert

Dennis Eversberg

 

Verlag Campus Verlag, 2014

ISBN 9783593422527 , 686 Seiten

Format PDF, OL

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46,99 EUR

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Erster Grundsatz: Die Frage nach der Macht

'Aktivierung' präsentiert sich hier also als Strategie machtförmiger Einwirkung auf die subjektive Verfassung von Individuen, durch die diese im 'gesellschaftlichen' Interesse auf aktives Handeln verpflichtet und die Herstellung von Passung zu den Anforderungen des Marktes zum Erfolgsmaßstab dieses Handelns erklärt werden. Damit ist über die konkreten Formen politisch-administrativen Intervenierens, die sich mit dieser Zielsetzung in Programmatik wie Praxis verbinden, noch nichts gesagt, wohl aber über Menschenbild und Politikvorstellungen eines Modus der Herstellung des Sozialen: Menschen gelten als form- und anpassbar, insbesondere aber als zur Selbstanpassung fähig, 'der Markt' dagegen erscheint als unbeeinflussbare Größe, deren Diktate anzuerkennen und zu befolgen sind. Arbeitsmarktpolitische Interventionen geraten folglich zu Technologien der Erzeugung von aktiv handelnden, sich aus freien Stücken an den Bedarfen 'des Markts' orientierenden Arbeitsmarktsubjekten. In guter soziologischer Tradition ist dies der erste Grundsatz der Perspektive auf den Gegenstand 'Ar-beitsmarkt', die ich hier theoretisch begründen und auf ein empirisches Beispiel anwenden will: Es geht um Macht, und zwar um eine Macht, die auf die Subjektivität derer zielt, über die sie ausgeübt wird, und diese zu modifizieren sucht.

Über Struktur und Logiken von Politiken der 'Aktivierung' ist auch und gerade aus machtkritischer Perspektive viel geschrieben worden. Darüber hinaus wurden gerade die Hartz-Reformen - also jene politischen Restrukturierungsmaßnahmen, durch die die oben wiedergegebene 'Leitidee' von der Aktivitäts-Absicherungs-Relation als oberste Handlungsmaxime arbeitsmarktpolitischer Intervention institutionell verankert werden sollte - in ihren Folgen durch ein beispiellos aufwendiges evaluierendes Forschungsprogramm untersucht. Angesichts dessen ist es umso erstaunlicher, dass die Frage, inwiefern denn 'aktivierende' Arbeitsmarktpolitiken in ihrer Praxis ihren programmatischen Kernanspruch - die Hervorbringung von ihrem Selbstverständnis nach aktiven, sich aus eigenem Antrieb um Teilhabe am ökonomisch gerahmten, kommodifizierten Prozess der Produktion des Gesellschaftlichen bemühenden Subjekten - eigentlich einlösen, bisher kaum gestellt wurde.

Diese Frage aber ist es, die für diese Studie erkenntnisleitend sein soll und die ich, wie durch das bis hierher Gesagte schon angedeutet, aus einer den In-tentionen machtförmiger Bearbeitung von Subjektivität gegenüber grundsätzlich kritischen Perspektive zu stellen suche. Wenn ich hier also untersuche, ob 'Aktivierung' ihre Ziele erreicht, dann richtet sich dies nicht auf die Erhöhung der Effektivität 'aktivierender' Interventionen, sondern auf eine Kritik der Formen von Zurichtung, Unterordnung und Zwang, die solche Politiken erzeugen - und zwar nicht nur dort, wo diese intentional ausgeübt werden, sondern auch und gerade da, wo sie sich 'hinter der Kulisse' programmatischer Versprechen von Integration, sozialem Aufstieg und Selbstbestimmung auf strukturellem Wege materialisieren. Dazu entwickle ich nach einer historisch-soziologischen Kontextualisierung von 'Aktivierung' (Kapitel 2) zunächst auf theoretischer Ebene eine machtkritische Analyseperspektive auf Arbeitsmärkte und Arbeitskraft, ausgehend von Pierre Bourdieus Konzepten des Feldes und des Habitus beziehungsweise der Dispositionen sowie von einer konstruktivistisch-strukturalistischen Reinterpretation des Dispositivbegriffs Michel Foucaults (Kapitel 3-5). Diese wende ich dann mit Hilfe qualitativer Methoden auf das empirische Beispiel der an benachteiligte Jugendliche gerichteten 'aktivierenden' Pilotmaßnahme KapUZe ('Kompetenzaufbau durch persönliche Unterstützung in der Zeitarbeit') an, um herauszuarbeiten, wie sich deren Rationalitäten und Tech-nologien über mehrere Ebenen hinweg - von den Intentionen der Program-matik bis in die Wahrnehmung und die Handlungen der zuvor arbeitslosen Teilnehmenden hinein - brechen und welche Auswirkungen auf deren subjektive Verfasstheit sowie auf ihre Position im sozialen Raum der Klassen sie erzeugen.

Aus der Untersuchung der 'Machtstruktur' des Projekts KapUZe auf die-sem Wege und mit diesem theoretischen Rüstzeug hat sich ein zentraler Befund ergeben, der der Darstellung meiner Forschungsergebnisse in diesem Buch als strukturierende Kernthese zugrunde liegt und der auch in seinem Titel bereits angedeutet ist: 'Aktivierung' ist nicht, wie häufig unterstellt, ein Programm der Individualisierung, sondern eines der Dividualisierung. Wie zu zeigen sein wird, ist die Ausübung von Macht innerhalb 'aktivierender' Politikformen wie KapUZe darauf angelegt, die bearbeiteten Subjekte mit den Anforderungen von 'flexibilisierten', kleinteilig und kurzzyklisch reorganisierten Arbeitsprozessen kompatibel zu machen, innerhalb derer - diktiert durch den kapitalistischen Imperativ der optimalen Ausnutzung aller der Verwertung zugeführten Ressourcen - auf menschliche Arbeitskraft nunmehr auf sub-individueller Ebene zugegriffen wird.

Ausgangspunkt: Eine doppelte Kritik

Ausgangspunkt meines Herangehens an die Erforschung von 'Aktivierung' ist eine Kritik der beiden grundsätzlichen Ansätze der wissenschaftlichen Ausein-andersetzung mit diesem Gegenstand - der quantifizierenden arbeitsmarktpoli-tischen Evaluationsforschung auf der einen und der Mehrheit der machtkritisch argumentierenden Arbeiten zum Thema, darunter die sich auf Foucault berufenden Gouvernementalitätsstudien sowie qualitativ-empirische Arbeiten zur subjektiven Verarbeitung von 'Aktivierung', auf der anderen Seite.

Meine Kritik an den vor allem quantitativen Ansätzen, die den Mainstream der Arbeitsmarktforschung bilden, richtet sich im Kern darauf, dass diese, in-dem sie 'den Arbeitsmarkt' als eine Sphäre freien wirtschaftlichen Austausches und 'Arbeitsmarktpolitik' als regulierendes, rahmensetzendes Eingreifen des Staates in diesen Markt konzipieren, die Macht- und Herrschaftsphänomene, auf denen das 'Funktionieren' dieser Sphäre gesellschaftlicher Wirklichkeit grundlegend beruht, weitgehend unsichtbar machen. Diese Forschungen leugnen nicht etwa den Machtcharakter 'aktivierender' Arbeitsmarktpolitik, sondern sie dethematisieren ihn konsequent, indem deren Interventionen als staatliches Handeln zur Herstellung eines Ausgleichs zwischen 'Angebot' und 'Nachfrage' kontextualisiert werden, dessen Legitimation sich nur auf den Erfolg dieses ausgleichenden Eingreifens begründen kann. Infolge dieser Dethematisierung sind die Ergebnisse des Reformprozesses zwar im Hinblick auf dessen institutionelle Faktoren und auf die quantitativ messbaren Größen des Erfolgs 'am Markt' (Integrationsquoten, Dauer der erzielten Integrationen) in beispielloser Dichte dokumentiert - aber darüber, ob denn die zum zentralen Ziel erklärte Anpas-sung der Subjektivität der Arbeitslosen an den Markt eigentlich stattfindet, ist aus den tausenden Seiten der Evaluationsberichte wenig bis nichts zu erfahren. Das hängt ohne Zweifel damit zusammen, dass den politischen Akteuren mehr oder weniger egal war, ob die Arbeitslosen nun wirklich, praktisch 'aktiv' wurden, weil sie das Einwirken auf deren Subjektivität primär als Mittel zum Zweck der Senkung von Arbeitslosenzahlen und öffentlichen Ausgaben sahen. Auftrag der Evaluationsforschung war es, das Interesse der Politik an wissenschaftlich 'harten' Indikatoren zu bedienen, die eine klare, objektivierbare Beurteilung des Erfolgs der einzelnen Interventionsinstrumente erlauben sollten. Und weil die politische Intention hinter den Reformen von Anfang an vor allem in der möglichst schnellen Senkung der als politischer Notstand wahrgenommenen hohen Arbeitslosenzahlen bei gleichzeitiger Reduzierung der Kosten bestand, konnte 'Erfolg' hier nichts anderes meinen als die Integration in bezahlte Beschäftigung. Als dominierender Ansatz arbeitsmarktpolitischer Evaluationsforschung haben sich daher ökonometrische Verfahren durchgesetzt, die die Effekte eines Instruments in Zahlen oder Anteilen der 'erfolgreich Integrierten', also derer, die zu einem bestimmten Zeitpunkt nach der Behandlung ('treatment') mit dem Instrument in einem bezahlten Arbeitsverhältnis waren, zu 'messen'. Ein Maßnahmetyp gilt demnach als erfolgreich, wenn die Rechenergebnisse einen positiven 'Treatment-Effekt' (IZA u.a. 2006; WZB/infas 2006) für die Teilnah-megruppe gegenüber einer vergleichbaren, mit Nichtteilnahme 'behandelten' Gruppe belegen, oder wenn positive makroökonomische Effekte nachweisbar sind. Obwohl in der Hartz-Evaluationsforschung auch eine Reihe anderer quantitativer und qualitativer Methoden zur Anwendung kam, waren es gerade die Resultate der quantitativen Kontrollgruppenvergleiche mit ihrem ostentativen Anspruch auf wissenschaftliche Belastbarkeit, die für ihre öffentliche und politische Wahrnehmung bestimmend waren.

So nützlich die ökonometrische Vorgehensweise aus einer politisch-techno-kratischen, vor allem an schnellem und einfachem Rat für die politische Ent-scheidungsfindung interessierten Sicht sein mag, so wenig verrät sie darüber, ob und gegebenenfalls wie sich die angeblich im Zentrum der Intervention stehenden Einstellungen und Handlungsmuster der Betroffenen verändern. Die quantifizierende Evaluationsperspektive dient so als Stütze eines politischen Standpunkts, der jede Form bezahlter Beschäftigung prinzipiell als besser oder wünschenswerter definiert als jede andere denkbare Situation ('Sozial ist, was Arbeit schafft') und dem eine gestiegene Zahl 'erfolgreicher Integrationen' als per se gut erscheint. Eine Sichtweise auf die Realität, die positive Wirkungen an der Ausprägung eines einzigen quantitativen Indikators ablesen zu können meint, muss aber gegenüber jedem ethisch begründeten Zweifel an den positiven Qualitäten der angewendeten Technologien indifferent bleiben. Thematisieren lassen sich solche Zweifel nur aus der Sicht einer soziologischen Forschung, die sich eben nicht für politisch diktierte Erfolgskriterien, sondern für die arbeitsmarktpolitisch erzeugten 'subjektiven' und 'objektiven' Realitäten interessiert.