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Kriminalpolitik

Hans-Jürgen Lange

 

Verlag VS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV), 2008

ISBN 9783531908946 , 447 Seiten

Format PDF, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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60,23 EUR


 

1 Kriminalpolitik im Kaiserreich (S. 15)

Herbert Reinke

1.1 Der Schulenstreit, Gesellschaftsschutz und die Genese eines spezialpräventiven kriminalpolitischen Programms

1.2 Verbrechertypologien als Kriminalpolitik

1.3 Entwicklungslinien der Jugend-Kriminalpolitik in der Zeit des Kaiserreiches

1.4 Polizeipolitik als Kriminalpolitik

Die Geschichte der Kriminalpolitik in der Zeit des Deutschen Kaiserreiches ist vor allem eine Geschichte strafrechtlicher Programmdebatten, die unter der Bezeichnung „Schulenstreit" einen herausragenden Platz in der deutschen Strafrechtsentwicklung einnehmen. Diese strafrechtlichen Programmdebatten sind nicht losgelöst von den zeitgenössischen kriminalwissenschaftlichen Deutungsmustern zu beobachten, die wiederum kriminalpolitische Strategien und Zielsetzungen im weiteren Fortgang des 20. Jahrhunderts beeinflusst haben.

Weniger deutlich erkennbar sind die kriminalpolitischen Komponenten der Polizeipolitik in der Zeit vor 1918, die in dieser Zeit noch durch Professionalisierungsbemühungen der Institution „Polizei" geprägt waren. Einige der kriminalpolitischen Fokussierungen der Zeit vor 1918 (Strafrechtsdebatten und Kriminalpolitik, kriminalwissenschaftliche Deutungsmuster und Kriminalpolitik, Jugend- Kriminalpolitik, Polizeipolitik und Kriminalpolitik) sollen im Folgenden stichwortartig skizziert werden.

1.1 Der Schulenstreit, Gesellschaftsschutz und die Genese eines spezialpräventiven kriminalpolitischen Programms

In der rechtswissenschaftlichen Literatur gilt Franz von Liszt, verwandt mit dem gleichnamigen Komponisten, als einer der wichtigsten Strafrechtsreformer in der Zeit des Deutschen Kaiserreiches. Er wird dort in der Regel als Initiator einer zweckrationalen, präventiven Kriminalpolitik verstanden. Nicht Abschreckung oder Sühne, sondern Prävention durch Besserung, eventuell durch Unschädlichmachung von Verbrechern, abhängig von deren jeweiliger Gefährlichkeit und Besserungsfähigkeit sollte Zweck der Strafe sein und die Gesellschaft vor dem Verbrechen schützen.

Dazu sollten verschiedene Disziplinen zusammengeführt werden: Strafrechtslehre, Kriminalstatistik, Kriminalanthropologie und Kriminalpsychologie sollten in einer „Gesamten Strafrechtswissenschaft" integriert werden, um die Kriminalitätskontrolle empirisch-naturwissenschaftlich neu zu fundieren. Mit diesen Ansätzen begründete Franz von Liszt die „moderne Schule" der Strafrechtswissenschaft.

Die von ihm propagierte utilitaristische Strafrechtskonzeption löste eine Debatte aus, die als Schulenstreit in die Rechtsgeschichte eingegangen ist. Dabei standen sich die moderne Liszt-Schule und die klassische Strafrechtsschule gegenüber. Letztere vertrat das Modell der Vergeltungsstrafe, das nach der Schwere der Tat die Schuld des Täters bemaß und entsprechend die Strafe bestimmte (vgl. Frommel 1987, Kubink 2002).

Die klassische Schule vertrat nicht unbedingt einheitliche Positionen, wurde aber durch gemeinsame Gegnerschaft zu den Thesen der Liszt-Schule zusammengehalten. Einige unter ihnen verstanden im Sinne der absoluten Straftheorien Kants und Hegels die sich in der Strafe ausdrückende Sühne als sittliches Gebot. Andere wiederum sahen die Vergeltungsstrafe als ein Instrument der Abschreckung zum Zweck des Schutzes positiver Normen.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatten sich auch diejenigen Strafrechtler den Gedanken der Generalprävention, d. h. der Sicherung der Rechtsordnung durch allgemein abschreckende Strafandrohungen, zu eigen gemacht, deren Lehrmeinung vorrangig auf dem Sühnegedanken beruhte. Ungeachtet der unterschiedlichen theoretischen Positionen teilten alle Anhänger der klassischen Schule die Grundannahme, dass die Strafe nach der schuldhaften Tat, nicht nach persönlichen Merkmalen des Täters zu bemessen sei.

Der Schulenstreit wurde unter den Zeitgenossen mit großer Intensität ausgetragen. Diese Intensität erklärt sich nicht zuletzt daraus, dass im Schulenstreit unterschiedliche Ausprägungen staatlicher bzw. kriminalpolitischer Interventionsmöglichkeiten zum Ausdruck kamen. Die Vertreter der klassischen Schule, die cum grano salis in der einen oder anderen Form noch durch die politischen Ideen des klassischen (vormärzlichen) Liberalismus geprägt waren und die Aufgaben des Rechtsstaates vornehmlich in der Einhaltung der Rechtsordnung sahen, verstanden den sich in der modernen Schule manifestierenden sozialen bzw. kriminalpolitischen Interventionismus als den falschen Weg.