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Innovation und Kontinuität - Die Organisationsreform in der gesetzlichen Rentenversicherung

Tanja Klenk

 

Verlag VS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV), 2008

ISBN 9783531909332 , 220 Seiten

Format PDF, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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49,99 EUR


 

1. Fragestellung, methodische Anlage und Aufbau der Studie (S. 9)

1.1. Das RVOrgG: Eine historische Weichenstellung in der Administration der gesetzlichen Rentenversicherung?

Am 1. Januar 2005 ist das ‚Gesetz zur Organisationsreform in der gesetzlichen Rentenversicherung (RVOrgG)‘ in Kraft getreten. Mit dem RVOrgG wurde die seit den Anfängen der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) bestehende Differenzierung zwischen einer Arbeiter- und Angestelltenrentenversicherung aufgehoben und ein einheitlicher Versichertenbegriff eingeführt. Darüber hinaus wird der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR) mit der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) zur Deutschen Rentenversicherung Bund, einem Bundesträger mit integriertem Dachverband, fusioniert.

Die berufsständische Gliederung der gesetzlichen Alterssicherung gehörte bis dato ebenso wie das Beitrags-, Versicherungs- oder Selbstverwaltungsprinzip zu den Grundprinzipien der gesetzlichen Rentenversicherung. Bei der Errichtung der GRV im Deutschen Kaiserreich wurde die Entscheidung bewusst für eine berufsständische Durchführung der Sozialversicherung gefällt. Die Angestelltenversicherung wurde ausdrücklich als eigenständige, im Vergleich zur Alters- und Invaliditätsversicherung der Arbeiter mit Privilegien ausgestattete Versicherung ins Leben gerufen.

Der berufsständische bzw. branchenspezifische Aufbau von sozialen Sicherungssystemen ist nur eine von mehreren möglichen Varianten zur Organisation der Sozialversicherung. Die grundsätzliche Alternative zum erwerbszentrierten, berufsständisch gegliederten Versicherungsmodell ist das Modell der Staatsbürgerversorgung. Die beiden Organisationsmodelle des einheitlichen und des berufsständisch gegliederten sozialen Sicherungssystems sind, wie die vergleichende Wohlfahrtsstaatsforschung gezeigt hat, nicht nur bloße Verwaltungsalternativen. Die beiden Organisationsmodelle sind vielmehr mit jeweils unterschiedlichen Sozialstaatsphilosophien verknüpft.

Sie unterscheiden sich insbesondere bei der Frage nach der Zugangsberechtigung zum sozialen Sicherungssystem. Berufsständische Versicherungssysteme basieren auf der Solidarität einer nach Statusmerkmalen definierten Versichertengemeinschaft. Die Leistungen für die Mitglieder der Solidargemeinschaft werden in einer relativ staatsfernen und relativ autonomen Organisation von den Mitgliedern selbst verwaltet.

Modelle der Staatsbürgerversorgung, wie sie in den skandinavischen Ländern, aber auch in den angelsächsischen Ländern praktiziert werden, integrieren hingegen alle Bürger einer Nation unabhängig von ihrem Erwerbsstatus in das Sicherungssystem. Während berufsständisch gegliederte Versicherungssysteme vor allem auf den Erhalt eines erzielten Status ausgerichtet sind und damit zur Verfestigung von Statusunterschieden beitragen, sind die wohlfahrtsstaatlichen Leistungen in den Staatsbürgermodellen vom Prinzip her einheitlich egalitär strukturiert und stärker auf den Ausgleich bestehender Differenzen ausgerichtet (grundlegend zur den Merkmalen unterschiedlicher Wohlfahrtsstaatsregime vgl. Esping-Andersen 1990).

Deutschland zählt zu den Kernländern der konservativ-korporatistischen Wohlfahrtsstaatswelt. Die Bedeutung des berufsständischen Organisationsprinzips für die öffentliche Alterssicherung in Deutschland wurde bis zum Inkrafttreten des RVOrgG nicht nur an der Differenzierung zwischen einer Arbeiter- und einer Angestelltenversicherung, sondern auch in der Existenz weiterer Sonderkassen für spezifische Berufsgruppen und in der Nicht-Einbeziehung der Selbstständigen und Beamten in die GRV deutlich.

Das System der öffentlichen Altersvorsorge in Deutschland bestand (und besteht z.T. auch nach der Einführung eines einheitlichen Versichertenbegriffs) aus einer Vielzahl von Teilsystemen für unterschiedliche Personengruppen (Maydell 1990: 412).1 Auch in anderen Zweigen der Sozialversicherung fand bzw. findet das berufsständische Gliederungsprinzip Anwendung. Die Organisationsstruktur der GRV blieb ungeachtet mehrerer politischer Regimewechsel nach der Errichtungsphase im ausgehenden 19. bzw. beginnenden 20. Jahrhundert weitgehend unverändert.

Was sich jedoch im Verlauf des 20. Jahrhunderts grundlegend verändert hat, sind die soziostrukturellen Rahmenbedingungen für die Durchführung der gesetzlichen Rentenversicherung. Technisierungs- und Rationalisierungsprozesse führten zu einem Wandel der typischen Arbeitsformen und -inhalte. Als Arbeiter galten typischerweise Personen, die abhängig beschäftigt waren und in erster Linie ihre Körperkraft zur Verfügung stellten. Für Angestellte wurde hingegen eine überwiegend geistige Tätigkeit als charakteristisch erachtet.