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Endokrinologie für die Praxis - Diagnostik und Therapie von A-Z
Frank Herrmann, Peter Müller, Tobias Lohmann, Henri Wallaschofski
Verlag Georg Thieme Verlag KG, 2014
ISBN 9783131987877 , 376 Seiten
7. Auflage
Format PDF, ePUB, OL
Kopierschutz Wasserzeichen
2 Adrenogenitales Syndrom (AGS)
Unterscheidung in klassische und nicht klassische AGS-Formen (Late-Onset-Formen häufiger als klassische AGS):
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klassische AGS-Formen > 95% 21-Hydroxylase-Defekt
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nicht klassische („late-onset“) Formen: Defekte der 21β-Hydroxylase, 11β-Hydroxylase und 3β-Hydroxysteroiddehydrogenase (3 -HSD)
2.1 Klassisches (angeborenes) AGS
Angeborene Steroidbiosynthesestörungen der Nebenniere mit Überproduktion von androgenen Nebennierenrindensteroiden mit nachfolgendem Kortisolmangel. Bei zusätzlicher Störung der Aldosteronproduktion Verlauf mit Salzverlustsyndrom. Die gestörte Kortisolsynthese führt über den Rückkopplungsmechanismus zu einer gesteigerten CRH- und ACTH-Ausschüttung mit Nebennierenrindenhyperplasie und Androgenüberproduktion.
2.1.1 Symptome
Die Symptome des klassischen AGS sind in ▶ Abb. 2.1 dargestellt.
Abb. 2.1 Mögliche Symptome des klassischen AGS.
Cave!
Schnelles Wachstum mit vorzeitigem Epiphysenschluss (etwa 10. Lebensjahr), danach Minderwuchs. Bei Jungen in der Adoleszenz häufige, meist gutartige Hodentumoren (Palpationskontrolle).
2.1.2 Diagnostik
2.1.2.1 Anamnese
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Neugeborenen-Screening erfragen (s.u.)
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als Säugling normal groß, als Kind zu groß, im Erwachsenenalter zu klein
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♂: vorzeitiger Pubertätseintritt, eingeschränkte Fertilität, Nebennierenrindeninsuffizienz
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♀: keine Menarche, tiefe Stimme, unerfüllter Kinderwunsch, Nebennierenrindeninsuffizienz
2.1.2.2 Labor
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generelles Neugeborenen-Screening mit Bestimmung von 17-Hydroxyprogesteron im Vollblut am 3. Lebenstag
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17-Hydroxyprogesteron ↑
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Testosteron ↑
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Androstendion ↑
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Dehydroepiandrosteron ↑
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ACTH ↑
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Kortisol ↓
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Steroidprofil i.U.
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Dexamethason-Test: Normalisierung des erhöhten 17-Hydroxyprogesterons und Testosterons
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ACTH-Test: deutlicher Anstieg des 17-Hydroxyprogesterons, kein Anstieg des Kortisols
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genetische Untersuchung zur Differenzierung der Ursachen
2.1.2.3 Bildgebung
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Röntgen linke Hand: in der Kindheit Knochenalter gegenüber dem chronologischen Alter erhöht (Epiphysenschluss bereits etwa im 10. Lebensjahr)
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Nebennierensonografie: Nebennierenrindenhyperplasie
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Hodensonografie: Hodentumoren bei unzureichender Substitution TARTs (testikuläre adrenale Restumoren); DD: Leydig-Zell-Tumoren
2.1.2.4 Gynäkologische Untersuchung
Klitorishypertrophie, intersexuelles Genitale
2.1.3 Differenzialdiagnostik
Andere Intersexualitätsformen:
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♀: virilisierende Nebennierenrinden- oder Ovarialtumoren
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♂: echte Pubertas praecox
2.1.4 Therapie
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lebenslange Substitutionsbehandlung mit Glukokortikoiden
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Beginn so früh wie möglich
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zunächst in einer pädiatrischen, später in einer endokrinologischen Sprechstunde
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Hydrokortison ist bis zum Abschluss des Längenwachstums Mittel der Wahl
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Dosierung: 12–20 mg/m2 KOF/d, verteilt auf 3 Einzelgaben (keine Überdosierung im Kindesalter, sonst Wachstumsverminderung)
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unter Mehrbelastung (z.B. Infektionen, Stress, Operation) Dosissteigerung notwendig
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Salzverlustsyndrom: zusätzlich lebenslange Gabe von Fludrokortison
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im Säuglingsalter ca. 0,05–0,3 mg/d
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Kleinkinder 0,05–0,15 mg/d
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Schulalter 0,1 mg/d
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Erwachsene 0,1–0,15 mg/d in 2–3 Einzeldosen; Erwachsene auch Prednisolon 2–4 mg/m2 KOF, Dexamethason 0,25–0,5 mg/d (als Einmalgabe)
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Cave!
Nothilfepass.
2.1.5 Therapieerfolg
Bei früher Therapieeinleitung sowohl beim Mädchen (Menstruation, Entwicklung der sekundären Geschlechtsmerkmale, Schwangerschaft) als auch beim Jungen normale körperliche sexuelle Entwicklungen möglich. Bei zu später Diagnosestellung manchmal nur noch Teilerfolge (irreversible Wachstumsstörungen, Virilisierungserscheinungen). Gynäkologische Korrekturoperation bei Klitorishypertrophie. Im Kindesalter Kontrolle von Größe und Knochenreifung (Perzentilenkurven) sowie der Pubertätsentwicklung (Stadien nach Tanner).
2.2 Akutes Salzverlustsyndrom
2.2.1 Ursachen
Beim Verlauf mit Salzverlustsyndrom kann der renale Salzverlust zu einem lebensbedrohlichen Krankheitsbild führen, vorwiegend im Säuglingsalter und Kindesalter.
2.2.2 Symptome
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Erbrechen
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Diarrhö
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Exsikkose
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Krämpfe
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Lethargie
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Hyperthermie
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Schock
2.2.3 Labor
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Hyperkaliämie
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Hyponatriämie
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Azidose
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Hypoglykämie
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Renin ↑
2.2.4 Therapie
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intensivmedizinische Bedingungen, Schock- und Azidosetherapie
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Infusion von 0,9%iger NaCl-Lösung
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Zugabe von Hydrokortison (10 mg Säuglinge, 25 mg Kinder, 50 mg Erwachsene) als Bolus
2.3 Nicht klassisches (erworbenes) AGS
Erworbene adrenale Virilisierung durch Androgenüberproduktion einer Nebennierenrindenneoplasie (Adenom oder Karzinom) oder ‑hyperplasie.
2.3.1 Symptome
Die Symptome des nicht...