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Soziale Ungleichheit und Pflege - Beiträge sozialwissenschaftlich orientierter Pflegeforschung

Hans-Ullrich Gebauer, Andreas Büscher

 

Verlag VS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV), 2008

ISBN 9783531910147 , 447 Seiten

Format PDF, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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49,44 EUR

  • Altern in Gesellschaft - Ageing - Diversity - Inclusion
    Europäische Wohlfahrtssysteme - Ein Handbuch
    Vom Fall zum Management - Neue Methoden der Sozialen Arbeit
    Handbuch Soziale Arbeit und Alter
    Sozialer Ausschluss und Soziale Arbeit - Positionsbestimmungen einer kritischen Theorie und Praxis Sozialer Arbeit
    Wege zum Dienstleistungsstaat - Deutschland, Frankreich und Großbritannien im Vergleich
    Altern in der Stadt - Neugestaltung kommunaler Altenhilfe im demographischen Wandel
    ConSozial 2005. Visionen sozialen Handelns. menschlich+fachlich+wirtschaftlich
  • Daseinsvorsorge - Eine gesellschaftswissenschaftliche Annäherung
    Stadtquartiere auf Zeit - Lebensqualität im Alter in schrumpfenden Städten
    Rückkehr des Staates? - Politische Handlungsmöglichkeiten in unsicheren Zeiten
    Die Stadt in der Sozialen Arbeit - Ein Handbuch für soziale und planende Berufe
    Community Care und Menschen mit geistiger Behinderung - Gemeinwesenorientierte Unterstützung in England, Schweden und Deutschland

     

     

     

     

 

 

Töchter pflegen ihre Eltern: Traumatisierungspotenziale in der häuslichen Elternpflege – Indizien für geschlechtstypische Ungleichheit? (S. 259-260)

Melanie Deutmeyer

Die aktuelle und zukünftige Versorgungssituation hochaltriger, pflegebedürftiger Personen ist eine große gesellschaftliche Herausforderung. Einerseits ist die Familie die zentrale Einrichtung für die Unterstützung älterer und kranker Menschen, deren Verfügbarkeit jedoch abnimmt, weil z.B. traditionelle Familienstrukturen erodieren und die Bereitschaft der Frauen sinkt, eine Pflegerolle zu übernehmen. Andererseits nimmt die Zahl der pflegebedürftigen Hochaltrigen aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung und den damit verbundenen multimorbiden Krankheitsgeschehen deutlich zu, so dass die Pflege eines hochaltrigen Menschen in der Familie keine Ausnahme, sondern „erstmals in der Geschichte zu einem erwartbaren Regelfall des Familienzyklus geworden ist" (BMFSFJ 2002: 194).

Zu bedenken ist, dass die häusliche Pflege hochaltriger, bedürftiger Menschen überwiegend Frauen trifft. Folgendes Bild zeigt die Verteilung der privaten Pflegearbeit (ebd.): Bei den Pflegepersonen handelt es sich in nahezu 90% aller Fälle um nahe Angehörige, selten um Freunde, Nachbarn und Bekannte. Ca. 20% der Pflegebedürftigen werden von einer Partnerin und 12% von einem Partner gepflegt. Ein weiteres Drittel der Pflegenden stellen die Töchter (23%) und Schwiegertöchter (10%). Und: Ca. 80% der pflegenden Angehörigen sind Frauen. Angehörigenpflege ist damit zum überwiegenden Teil „Frauenpflege" (Kruse 1994: 42).

Bei der geleisteten Pflege steht die Konstellation „Tochter pflegt Mutter" an erster Stelle, gefolgt von „Frau pflegt Ehemann" und „Frau pflegt Schwiegermutter". Ursache hierfür ist eine Verlagerung der Pflegesituation im fortgeschrittenen Alter der Pflegebedürftigen. Während bei den 60 – 65-Jährigen der Anteil der Partnerpflege bei 56% und nur zu 13% bei den Kindern liegt, verschiebt sich die Pflegeversorgung kontinuierlich zu den Kindern. 80 bis 85- Jährige Pflegebedürftige werden nur noch zu 2% von den PartnerInnen und zu 65% von den Kindern, insbesondere Töchtern, gepflegt (BMFSFJ 2002).

Diese familiale Pflegearbeit hat Konsequenzen: Die Gesundheit vieler pflegender Angehöriger nimmt durch die mit der Pflege verbundenen Anstrengungen Schaden. Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung haben pflegende Angehörige signifikant mehr körperliche Beschwerden (z.B. Gräßel 1998a). Besonders Frauen sind von solchen Beeinträchtigungen betroffen: Rund drei Viertel der pflegenden Frauen erkrankt an mindestens einer Krankheit (z.B. Adler et al. 1996). Nichtprofessionelle Pflegepersonen erleben aber nicht nur pflegebedingte körperliche, sondern auch soziale und psychische Beeinträchtigungen. Solche sind Erschöpfungssymptome, Einschränkungen der Freizeitaktivitäten oder Verringerung sozialer Kontakte bis hin zu sozialer Isolation.

Aber auch mangelnde Anerkennung für die erbrachten Pflegeleistungen und berufliche Einschränkungen gelten als Stressoren. Häufig beobachtbar sind zudem psychische Beeinträchtigungen pflegender Angehöriger in Form von Depressionen mit Traurigkeit und Pessimismus, besonders wenn diese Demente pflegen (z.B. Gräßel 1998a, b, Vitalino et al. 2003). Die Befundlage zu den Auswirkungen der Angehörigenpflege macht deutlich, dass die Pflegepersonen durch die oft jahrelange Pflege erheblichen (gesundheitlichen) Belastungen ausgesetzt sind. Verschiedene AutorInnen bezeichnen pflegende Angehörige daher auch als „hidden patients" oder „hidden victims". (Zarit et al. 1985, Kruse 1994). Am deutlichsten aber bringt das Konzept der „filialen Reife" (Blenker 1965, Bruder 1988) die Pflegebelastungen zum Ausdruck. Es beschreibt die häusliche Pflege als ein kritisches Ereignis im Leben der Pflegenden.

In diesem Konzept wird davon ausgegangen, dass es vielen Kindern Zeit ihres Lebens nicht gelingt, sich von den Eltern zu lösen. Dieses Defizit macht sich dann besonders in Pflegesituationen bemerkbar: Die Abhängigkeit von den Eltern und die fortdauernde Sehnsucht nach elterlicher Anerkennung lässt die erwachsenen, pflegenden Kinder ihre eigenen Belastungsgrenzen nicht erkennen und provoziert Schuldgefühle und permanente Unzulänglichkeitsgefühle, die Pflegesituation nicht zur Zufriedenheit der Eltern auszuführen.