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Die psychiatrisch-psychologische Begutachtung - Ein Leitfaden für die Praxis

Ulrike Hoffmann-Richter, Laura Pielmaier

 

Verlag Kohlhammer Verlag, 2015

ISBN 9783170285071 , 214 Seiten

Format PDF, ePUB, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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43,99 EUR

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2         Verfügbare diagnostische Zugänge


 

 

 

 

 

Weil das Ziel dieses Buchs die Praxis der Begutachtung ist, werden Methoden und formalisierte Instrumente weder mit dem Anliegen vorgestellt, sie möglichst vollständig zu erfassen, noch sie ausführlich zu beschreiben und ihre Entwicklung sowie dahinter liegende theoretische Annahmen zu erklären. Wir verweisen auf die Lehr- und Handbücher, Fachzeitschriften sowie Archive für Testinstrumente. Als Standardwerk gilt beispielsweise das Lehrbuch der psychologischen Diagnostik von Fisseni (2004). Es informiert über die wesentlichen Grundlagen der psychologischen Diagnostik und die Anwendung psychodiagnostischer Verfahren in den einzelnen psychologischen Teildisziplinen. Ähnlich ist das Buch von Schmidt-Atzert und Amelang (2012), das die Verknüpfung von Diagnostik und Intervention bezogen auf die verschiedenen psychologischen Anwendungsfelder betont. Eine Auflistung und Beschreibung der verbreitesten Testverfahren in der Psychologie bieten Brähler et al. (2002). Speziell zur Diagnostik im Bereich der klinischen Psychologie bzw. Psychiatrie und Psychotherapie geben Stieglitz (2008) sowie Röhrle, Caspar und Schlottke (2008) einen umfassenden Überblick über Verfahrensgruppen und deren Anwendungsbereiche. Diese Lehrbücher eignen sich auch als Nachschlagwerke zu den gängigsten Verfahren der störungsbezogenen und störungsübergreifenden Diagnostik. Daneben gibt es Bücher, die zu Teilbereichen oder einzelnen Störungsbildern Verfahren ausführlicher beschreiben sowie Empfehlungen für deren Anwendung aussprechen, wie z. B. das Buch von Bengel, Wirtz und Zwingmann (2008) zu diagnostischen Verfahren in der Rehabilitation. Um aktuelle Entwicklungen zu verfolgen empfiehlt sich auch eine Recherche in Fachzeitschriften, wie beispielsweise der Diagnostica, dem Journal Klinische Diagnostik und Evaluation und dem European Journal of Psychological Assessment. Die vom Leibnitz-Zentrum für Psychologische Information und Dokumentation angebotene deutschsprachige Literaturdatenbank Psyndex bietet eine Unterrubrik zu Testverfahren, in der die im deutschen Sprachraum relevanten Veröffentlichungen zu psychologischen Messinstrumenten verzeichnet sind (abzurufen unter der Website: www.zpid.de). Viele Messinstrumente inklusive Manual und Auswertungshilfen kann man über die Testzentrale des Hogrefe Verlags in Deutschland bzw. des Hans Huber Verlags in der Schweiz beziehen (www.testzentrale.de, www.testzentrale.ch). Der jährlich herausgegebene Testkatalog des Verlags liefert zu allen angebotenen Verfahren eine Kurzbeschreibung. Er ist somit ein hilfreiches Nachschlagwerk für die erste Orientierung bei der Suche nach einem geeigneten Verfahren. In einem zweiten Schritt sollten jedoch weitere Informationen bzgl. Gütekriterien, Einsatzbereich und Aufwand herangezogen werden, bevor man sich für ein Verfahren entscheidet. Eine wichtige Regel lautet: Die gängigsten Verfahren sind nicht immer die geeignetsten. Es lohnt sich in der Regel, entsprechende Validierungspublikationen zu lesen, um die Brauchbarkeit des Verfahrens abschließend beurteilen zu können. Einige Verfahren stehen auch kostenfrei im Internet zur Verfügung. Die suchmaschinengesteuerte Recherche lohnt sich in jedem Fall.

Die Psychologie blickt auf eine lange Tradition der Entwicklung von Messverfahren zurück. Voraussetzung für die Anwendung formalisierter Instrumente ist die Auseinandersetzung mit den Grundannahmen und Problemen der Mess- bzw. Testtheorie sowie den Standards des psychologischen Testens. Was fester Bestandteil des Psychologiestudiums ist, kommt in der medizinischen Ausbildung zu kurz. Dies hat zur Folge, dass die Psychiaterin oft nicht die Begrenztheit der auf Grundlage eines Messinstrumentes gewonnenen Informationen einschätzen kann. Der Nutzen der Verfahren wird über- wie unterschätzt (Dohrenbusch und Merten 2010;  Kap. 2.3). Das entscheidende Merkmal von formalisierten Instrumenten ist, dass sie einen Sachverhalt – ein psychologisches Konstrukt – möglichst unabhängig von der Person des Untersuchenden erfassen. Ihr Einsatz liefert einen wesentlichen zusätzlichen Beitrag zur Validität der Begutachtung, die ansonsten ausschließlich auf dem klinischen Interview basieren würde.

Das klinische Interview ist die Basis jeder psychiatrisch-psychologischen Diagnostik. Wenn es um Anforderungen an Reliabilität und Validität geht, wird es häufig gering geachtet. Diese Geringschätzung teilen wir nicht, im Gegenteil. Jede gutachterliche Untersuchung birgt die Chance der persönlichen Begegnung mit der Explorandin, dem Exploranden. Sie setzt ein hohes Maß an Erfahrung, Selbstreflexion und Übung voraus. Gelingt die Begegnung, liegt in ihr eine »Wahrheitschance«, die nicht durch den blossen Einsatz von formalisierten Instrumenten ersetzt werden kann (Hoffmann-Richter et al. 2012, S. 60–61; vgl. auch  Kap. 3.3.2). Auch das klinische Interview kann hier im Detail nicht vorgestellt werden. Wir konzentrieren uns auf die Praxis im Rahmen der integrierten psychiatrisch-psychologischen Diagnostik. Zu den Grundlagen verweisen wir auf die Ausführungen zum klinischen Interview bzw. der Exploration in Hoffmann-Richter et al. 2012, S. 56–74 und Schneider et al. 2012, S. 53–57).

Ziel der Psychometrie ist es, psychologische Merkmale, die zunächst rein theoretische Konstrukte sind, messbar zu machen. Dies basiert auf mess-/testtheoretischen Annahmen. Testtheorien sind mathematische Modelle, die die statistischen Zusammenhänge zwischen den zu messenden psychologischen Merkmalen (z. B. dem Persönlichkeitsmerkmal Extraversion) und den ermittelten Testwerten (z. B. Skalenwert für Extraversion im Freiburger Persönlichkeitsinventar) beschreiben. Die in der Psychologie gängigsten Testtheorien sind:

•  Klassische Testtheorie (KTT): Die KTT stellt das Konzept der Messgenauigkeit in den Mittelpunkt, so wird von einem ermittelten Testwert einer Person auf die wahre Merkmalsausprägung der Person geschlossen. Die KTT formuliert folgende Axiome:

    1. Der ermittelte Testwert einer Person setzt sich additiv aus einem wahren Merkmalsanteil (dem wahren Wert der Person) und einem Messfehleranteil zusammen. 2. Der Mittelwert aller Messfehler ist Null, d. h. bei mehrfacher Testanwendung kommt es zu einem Ausgleich und der ermittelte Testwert nähert sich dem wahren Wert der Person an. 3. Der Messfehler und die Merkmalsausprägung sind voneinander unabhängig, d. h. sie sind unkorreliert. 4. Der Messfehler ist unabhängig von der Ausprägung anderer Merkmale. 5. Die Messfehler mehrerer Testanwendungen sind voneinander unabhängig. Je größer der Messfehleranteil, desto ungenauer misst der Test das zu messende Merkmal. Die meisten und verbreitesten Messinstrumente in der klinischen Psychologie beruhen auf der KTT.

•  Probabilistische Testtheorie (PTT): Die PTT nimmt an, dass psychologische Konstrukte nicht unmittelbar gemessen werden können. Sie bleiben »latent« und manifestieren sich im jeweiligen Antwortverhalten einer Person. Die Wahrscheinlichkeit für eine bestimmte Antwort auf ein Item hängt demnach von der jeweiligen Ausprägung des zugrundeliegenden latenten Merkmals ab. Diese stochastischen Zusammenhänge werden in der PTT explizit genutzt, um Merkmale zu messen. Eine Person mit ausgeprägter Extraversion (latentes Merkmal) wird der Aussage »Ich gehe gerne auf andere Menschen zu« mit einer höheren Wahrscheinlichkeit zustimmen (Antwortverhalten) als eine weniger extrovertierte Person.

Statt einer Auflistung mit Anspruch auf Vollständigkeit werden wir beispielhaft vorstellen, welche Varianten an Methoden und formalisierten Instrumenten aus der Klinischen Psychologie und Psychiatrie zur Verfügung stehen, die auch bei Begutachtungen zur Anwendung kommen könnten. Wir werden also einzelne Verfahren genauer vorstellen und beschreiben, wann und wozu sie eingesetzt werden können. Weil eine einheitliche Systematik der Methoden nicht möglich ist, werden im Folgenden zwei Ordnungen aufgeführt, um (1) sie nach formalen Gesichtspunkten zu unterscheiden und zu beschreiben (Verfahrensgruppen) und (2) sie anschließend inhaltlich den Fragestellungen medizinischer Begutachtungen im Sozialversicherungsbereich zuzuordnen (Anwendungsbereiche). Zwangsläufig ergeben sich hierbei Redundanzen. Uns ist dabei bewusst, dass diese Systematik wesentlich weiter ausgeführt werden könnte, widmen sich dem Thema doch ganze Lehrbücher zur Diagnostik in der (klinischen) Psychologie, auf die wir bereits verwiesen haben.

2.1        Verfahrensgruppen


Ein wichtiges Merkmal von Verfahren...