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Achtsamkeitsbasierte Therapie und Stressreduktion MBCT/MBSR

Petra Meibert

 

Verlag ERNST REINHARDT VERLAG, 2016

ISBN 9783497602452 , 160 Seiten

Format PDF, ePUB, OL

Kopierschutz DRM

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25,99 EUR


 

2 Geschichte

2.1 Die historischen Wurzeln der Achtsamkeit

Das, was wir im deutschsprachigen Raum als Achtsamkeit bezeichnen, heißt im Englischen Mindfulness. Beide Begriffe sind Übersetzungen des Sanskrit Wortes Sati.

„[…] Im buddhistischen Gebrauch bedeutet das Hauptwort sati mehr als die bloße Fähigkeit, sich an Vergangenes zu erinnern. Hier ist es vorwiegend die auf die Gegenwart gerichtete wache Aufmerksamkeit, die klare Bewusstheit und Besonnenheit, so dass Achtsamkeit die weitaus beste Übersetzung des Wortes ist“ (Nyanaponika, 1997, 23).

Die Wurzeln der Achtsamkeit, so wie sie heute in den achtsamkeitsbasierten Ansätzen vermittelt wird, liegen in alten, meist buddhistischen Meditationstraditionen, in denen seit über 2500 Jahren die Geistesqualität der Achtsamkeit systematisch geübt und kultiviert wird. An dieser Stelle sei erwähnt, dass der Buddhismus sich als eine Wissenschaft vom Geist versteht und nicht in erster Linie als Religion. Er ist eine Philosophie und ein Übungsweg, er ist rational und logisch und die jeweiligen Erkenntnisse kann jeder durch eigenes Nachvollziehen und Üben selbst erfahren und überprüfen. Es gibt keine Glaubensdoktrinen oder unumstößliche Dogmen. Nicht zuletzt wegen dieser Offenheit, Nachprüfbarkeit und Transparenz, die von vielen zeitgenössischen buddhistischen Lehrern verkörpert wird, eignen sich die Übungen vermutlich so gut, um mit westlichen wissenschaftlichen Methoden erforscht und in die Behandlung von und den Umgang mit seelischen und körperlichen Erkrankungen integriert zu werden.

Sati–Achtsamkeit wird als Geistesfunktion bezeichnet, die jedem Menschen zur Verfügung steht. Sie kann gestärkt werden, indem man sich der Realität des gegenwärtigen Augenblicks bewusst wird und weiß, was man erlebt. Dieses Sati bedeutet auch „erinnern“, „sich vergegenwärtigen“. Hierbei wird unter „erinnern“ eben diese Bewusstheit für die Erfahrung des gegenwärtigen Augenblicks verstanden, verbunden mit dem „Sich-erinnern“ an das, worum es in der Meditation eigentlich geht: die Einsicht in die Strukturen und die Natur des Geistes sowie die Befreiung von leidhaften Zuständen. Nyanaponika, ein buddhistischer Gelehrter und Mönch, definiert Achtsamkeit als „das klare und zielstrebige Gewahrsein dessen, was in den sukzessiven Momenten der Wahrnehmung gerade mit und in uns geschieht“ (Epstein 2000, 119). Dabei hat dieses beobachtende Wahrnehmen die Qualität von „teilnehmender Beobachtung“ (Gunaratana 1996, 41):

„Der Meditierende ist sowohl Teilnehmer als auch Beobachter zu ein und derselben Zeit. Wenn man seine Gefühle oder körperlichen Empfindungen betrachtet, fühlt man sie auch genau in diesem Moment. Achtsamkeit ist keine intellektuelle Bewusstheit, sie ist einfach Bewusstheit. [...] Achtsamkeit ist objektiv, aber sie ist nicht kalt oder gefühllos. Sie ist die wachsame Erfahrung des Lebens, eine aufmerksame Teilnahme am laufenden Prozess des Lebens“(Gunaratana 1996, 154 f.).

Achtsamkeit ist in allen buddhistischen Traditionen neben der Praxis der Konzentration eine zentrale Übung, die dort verbunden ist mit der Idee von samma sati, was übersetzt so viel bedeutet wie „rechte Achtsamkeit“ (u. a. Wetzel 2011). Diese rechte Achtsamkeit gilt als heilsamer Geistesfaktor.

„Sie fördert und ermöglicht die Unterscheidung zwischen heilsam und unheilsam. Sie ist moralisch nicht neutral, sondern will heilsames Verhalten fördern“ (Wetzel 2011, 41).

Achtsamkeit im Sinne einer Aufmerksamkeitslenkung, einem Sich-Hinwenden, ohne gleich Handlungs- oder Bewertungsimpulsen zu folgen, kann helfen zu bemerken, was jetzt gerade vor sich geht. Dies ist der erste Schritt, der hilfreich ist, um geistige Klarheit zu gewinnen, die oft schon eine entlastende Wirkung hat. Der zweite Schritt ist das Sich-Erinnern an das, was heilsam ist, die rechte Achtsamkeit, das nicht urteilende Gewahrsein. Mit Nicht-Urteilen ist aber nicht gemeint, keine Urteile oder Bewertungen mehr zu haben, sondern sich der Urteile bewusst zu werden und die Unterscheidungskraft zu entwickeln, welche hilfreich / heilsam sind und welche nicht (Wetzel 2011). Dem gegenüber steht ein Alltagsbewusstsein, das normalerweise von einem unruhigen, stets mit Vergangenem oder Zukünftigem beschäftigten Geist geprägt ist – umherschweifend, suchend und immerfort urteilend. Dieses Alltagsbewusstsein geht einher mit der Neigung, sich mit den Gedanken und Gefühlen, die gerade auftauchen, zu identifizieren und an ihnen festzuhalten, als seien sie die Wahrheit. Ist die Erfahrung unangenehm, reagiert der Geist mit Abwehr und Vermeidung, ist sie angenehm, reagiert er mit Anhaftung und Festhalten-Wollen. Diese spontanen und unbewussten Reaktionen der Ablehnung oder Anhaftung an die Erfahrungen sind laut buddhistischer Psychologie die Ursache für das menschliche Leid und ein entscheidender Faktor der allgemein menschlichen Vulnerabilität (Verletzlichkeit), die uns anfällig macht für psychische Probleme und stressbedingte Erkrankungen (von Allmen 2007). Achtsames Wahrnehmen, Innehalten und auf dieser Basis eine „weise“ Entscheidung treffen für einen gesundheitsförderlichen Umgang mit Schwierigkeiten, sind das heilsame Gegenmittel gegen diese Vulnerabilität.

2.2 Die historischen Wurzeln von MBSR und MBCT

2.2.1 Die Wurzeln und Hintergründe von MBSR

Achtsamkeit ist eine allgemeinmenschliche Fähigkeit, die jeder durch Übung in sich kultivieren kann, jenseits religiöser oder weltanschaulicher Sichtweisen. Jon Kabat-Zinn (2013), der maßgeblich an der Entwicklung und Verbreitung achtsamkeitsbasierter Ansätze im klinischen Kontext beteiligt ist, beschreibt Achtsamkeit folgendermaßen:

„Achtsamkeit ist eine besondere Form der Aufmerksamkeit. Einfach gesagt bedeutet Achtsamkeit nicht urteilendes Gewahrsein von Moment zu Moment. Wir kultivieren Achtsamkeit, in dem wir bewusst im gegenwärtigen Augenblick aufmerksam sind. Dabei beurteilen wir unsere Erfahrung nicht nach gut oder schlecht oder danach, ob wir die Erfahrung mögen oder nicht mögen“ (Kabat-Zinn 2013, 9).

Achtsam zu sein bedeutet also, das, was im gegenwärtigen Moment geschieht, aufmerksam und bewusst wahrzunehmen. Dazu gehören sowohl die eigenen Gedanken, Gefühle und körperlichen Empfindungen als auch Sinnesreize aus der Umgebung und das achtsame Gewahrsein selbst.

Mit der Intention, Achtsamkeit zur Stressbewältigung und zum Umgang mit den Widrigkeiten des Lebens jedem Menschen zugänglich zu machen, entwickelte der Molekularbiologe Jon Kabat-Zinn Ende der 1970er Jahre an der Medizinischen Fakultät der Universität von Massachusetts in Worcester das heute als MBSR bekannte 8-Wochen Programm. Auf der Basis seiner eigenen intensiven Erfahrungen mit Meditationsübungen aus der Zen- und Vipassana-Tradition sowie Hatha Yoga, ging es ihm um die Frage, wie sich diese alten Traditionen der Bewusstseinsentwicklung unter den in der westlichen Welt vorherrschenden Bedingungen als komplementäres Angebot in die Medizin einführen ließen. MBSR bietet Hilfe für Menschen mit chronischen, körperlichen Krankheiten, insbesondere Schmerzerkrankungen als begleitendes Programm. So ist die Übersetzung der Frage nach den heilsamen und unheilsamen Aspekten unseres Verhaltens aus der buddhistischen Psychologie in die Anwendung von Achtsamkeit in der westlichen Medizin und Psychologie, die Frage nach stressverschärfenden und stressreduzierenden Faktoren (Gedanken, Gefühlen, Handlungsimpulsen).

Ein wichtiger Aspekt der Wirkung von Achtsamkeit im klinischen Kontext ist die Ressourcenaktivierung. Durch die bewusste Hinwendung zum Hier und Jetzt und das Erleben der Reichhaltigkeit jedes einzelnen Augenblicks, können Ressourcen in uns wiedererweckt werden, zu denen wir im Stress den Zugang leicht verlieren.

Durch die Übung der Achtsamkeit im Alltag bekommen Menschen mit chronischen körperlichen oder psychischen Problemen wieder mehr Zugang zu dem, was gut ist in ihrem Leben. Sie können erkennen, dass neben dem, was Leid verursacht, auch vieles da ist, was stärkt und Freude bereitet. Dieser Zugang wiederum kann die Selbstheilungskräfte aktivieren und zu einer verbesserten Lebensqualität beitragen. Dies zeigen auch die meisten wissenschaftlichen Untersuchungen z. B. aus dem Bereich der chronischen Schmerzerkrankungen (siehe Kapitel 5). Durch das regelmäßige Üben von Achtsamkeit verbessert sich die Lebensqualität signifikant. Achtsamkeitsübungen sind immer körperbetont, und die Wechselbeziehung zwischen körperlichen und emotional-kognitiven Prozessen und deren bewusste Erforschung ist ein wichtiges Prinzip und Ziel achtsamkeitsbasierter Ansätze. Von daher kann die Praxis der Achtsamkeit in Zukunft als therapeutisches Leitprinzip im Rahmen eines modernen, ganzheitlichen Ansatzes eine wichtige Rolle spielen.

2.2.2 Die Wurzeln und Hintergründe von MBCT

Einer der am meisten beforschten, störungsspezifischen, achtsamkeitsbasierten Ansätze ist MBCT, eine Gruppenintervention, die auf die spezifische Vulnerabilität von Menschen mit rezidivierender (wiederkehrender) Depression zugeschnitten ist.

Ausgehend von dem Auftrag, eine Erhaltungsform der kognitiven Therapie zu entwickeln, suchten die drei Professoren Mark Williams, Zindal Segal und John Teasdale nach einer zuverlässigen Methode, das Rückfallrisiko für Menschen mit einer Depression in der Vorgeschichte zu reduzieren. Im Rahmen ihrer Suche stießen sie auf...