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Menschenrechtsorganisationen in der Türkei

Anne Duncker

 

Verlag VS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV), 2009

ISBN 9783531913308 , 249 Seiten

Format PDF, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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42,25 EUR


 

6 Gesellschaftliche Konfliktlinie 1: Religion vs. Säkularismus (S. 145-146)

Secularism is taking my right to education, to freedom of religion. I don’t want a democracy like this. (Zeynep Akgün, Ak-Der) Der Machtkampf zwischen den Religiösen und den Säkularisten hat sich im Wahljahr 2007 erneut an der Frage entzündet, ob das Militär duldet, dass ein Vertreter der AKP in das Amt des Staatspräsidenten gewählt wird. Mit dem Wahlsieg der AKP und einem gläubigen Muslim als Regierungschef hatten sich die Generäle zähneknirschend arrangiert, um angesichts einer möglichen islamischen Doppelspitze zunächst vernehmlich mit den Säbeln zu rasseln.

Der erste Versuch, den damaligen Außenminister Abdullah Gül zum Staatspräsidenten zu wählen, scheiterte am Widerstand des Militärs und der kemalistischen Politelite. Nach den darauffolgenden Neuwahlen, die der AKP einen haushohen Sieg einbrachten, wurde Gül Ende August zum neuen Staatsoberhaupt gewählt. Mehr denn je sind die Kritiker der AKP seitdem davon überzeugt, dass die Partei eine schleichende Islamisierung der türkischen Republik anstrebt.

Die AKP hingegen gibt sich weltoffen und pro-europäisch und verurteilt die Einflussnahme des Militärs als undemokratisch und islamfeindlich. Der Konflikt sitzt tief und scheint sich auch nach der äußerst reform- und europaorientierten ersten Legislaturperiode unter Führung der AKP nicht abzumildern, sondern im Gegenteil noch zu verschärfen. Im Folgenden soll gezeigt werden, dass sich die Konfliktlinie Religion vs. Säkularismus im zivilgesellschaftlichen Sektor fortsetzt und diesen maßgeblich prägt. Untersucht wird, welche Rolle Islam und Säkularismus bzw. Kemalismus bei der Identitätsausbildung der NGOs spielen und wie sie das Verhältnis der Organisationen untereinander prägen.

Einige der Interviewten äußerten sich nur sehr zurückhaltend über die Bedeutung der Religion für ihre Arbeit. Publikationen, Veranstaltungen und Webseiten der NGOs konnten die Äußerungen in diesen Fällen ergänzen. Auch eine fehlende Bereitschaft, über die Bedeutung der Religion zu sprechen, ist letztlich jedoch aussagekräftig. Zudem lassen Vergleiche mit anderen Organisationen, die von den Interviewten häufig gezogen wurden, Rückschlüsse auf die identitäre Verortung einer NGO zu.

6.1 Religion als identitätsstiftendes Merkmal

In den vergangenen Jahren haben die islamischen NGOs einen bedeutenden Teil des NGO-Sektors erobert. Während wohltätige Stiftungen seit jeher feste Institutionen in islamischen Gesellschaften sind, ist das Engagement islamischer NGOs für bürgerliche und politische Rechte in der Türkei ein recht junges Phänomen. Es wird beleuchtet, welche Rolle der Islam für diese Organisationen und ihr Selbstverständnis spielt, wie offen die religiöse Ausrichtung dargelegt wird und welche Gründe für einen eher zurückhaltenden Umgang mit diesem Thema vorliegen. Einhergehend damit wird analysiert, inwieweit die NGOs Religionsfreiheit als ein Recht unter anderen Rechten fordern oder aber die Religionsfreiheit abkoppeln und über die anderen Rechte stellen.

Es stellt sich die Frage, ob die Religion als so prägender Teil des Organisationsprofils verstanden wird, dass daraus Schwierigkeiten entstehen, mit säkularen NGOs zusammenzuarbeiten. Zudem wird dargestellt, inwieweit es das Ziel der islamischen NGOs ist, eine neue Akzentuierung des türkischen und des europäischen Menschenrechtsdiskurses zu erreichen, oder aber einen völlig neuen Diskursrahmen zu definieren.

Dieser Diskursrahmen wird entlang Annahmen erster Ordnung beschrieben, er koppelt also die Anerkennung von Rechten an spezifische Glaubensinhalte. Religiöse Begründungen für die Zu- oder Aberkennung von Rechten sind problematisch, da sie Letztbegründungen darstellen und somit nicht hinterfragbar sind. In der Diskussion mit säkularen Gruppen stellen sie daher besonders schwer zu überbrückende Differenzen dar.