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Entwicklungspsychologie – Kindes- und Jugendalter

Martin Pinquart, Gudrun Schwarzer, Peter Zimmermann

 

Verlag Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2011

ISBN 9783840921704 , 386 Seiten

Format PDF, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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30,99 EUR


 

Hier geht es also darum, ob sich verschiedene Personen in der Stärke oder sogar in der Richtung ihrer Veränderungen unterscheiden, also um interindividuelle Unterschiede in den intraindividuellen Veränderungen. Weitgehend universelle Veränderungen werden in Kindheit und Jugend dort gefunden, wo Entwicklungsprozesse stark an biologische Reifungsprozesse gebunden sind (etwa bei der motorischen Entwicklung in den ersten Lebensjahren) oder stark von altersspezifischen Umwelteinflüssen abhängen (z. B. der Erwerb von Leseund Rechenfertigkeiten nach der Einschulung). Das ist häufiger in Kindheit und Jugendalter der Fall, während im jungen und mittleren Erwachsenenalter vor allem differenzielle Entwicklungsprozesse zu beobachten sind, etwa als Ergebnis des Verfolgens persönlicher Entwicklungsziele oder von nicht an ein bestimmtes Alter gebundenen Lebensereignissen (wie Arbeitslosigkeit oder Ehescheidung).

Da die Festlegung auf jeweils einen Pol der obigen drei Gegensatzpaare den Entwicklungsbegriff unnötig einschränken würde, kann auf diese Merkmale zur Definition der Entwicklung verzichtet werden. Man sollte also je nach Thematik fragen, ob der betrachtete Entwicklungsverlauf quantitative oder qualitative, reversible oder irreversible oder aber universelle oder differenzielle Veränderungen beinhaltet. 1.2 Weitere Begriffe

Mit dem Entwicklungsbegriff stehen weitere Begriffe in Zusammenhang, die hier kurz dargestellt werden sollen, und zwar Reifung, Prägung/sensible Phasen, Stabilität und Kontinuität.

Reifung
Während der Entwicklungsbegriff erst einmal offen lässt, welche Faktoren zur Veränderung führen, bezeichnet man als Reifung biologisch (genetisch) bedingte Entwicklungsprozesse. Beispiele für solche reifungsbedingten Entwicklungsprozesse sind das Auftauchen und Verschwinden verschiedener Reflexe nach der Geburt, die frühe Entwicklung der Motorik und die mit fortschreitender Reifung des Gehirns erfolgende Zunahme der Lernfähigkeit. Allerdings können nur sehr wenige Aspekte der Entwicklung als Reifung charakterisiert werden.

Prägung/sensible Phasen
Der Begriff stammt aus der Verhaltensbiologie und beschreibt eine irreversible Form des Lernens. Während eines meist kurzen, genetisch festgelegten Zeitabschnitts (der sogenannten sensiblen Phase) lösen Reize aus der Umwelt so starke Veränderungen des Verhaltens aus, dass diese später nicht mehr durch neue Erfahrungen korrigiert werden können. Hierbei wurde vermutet, dass das Fehlen von für die Entwicklung notwendigen Erfahrungen in diesem Zeitfenster (eine sogenannte Deprivation) besonders ungünstig für die weitere Entwicklung ist. Sensible Phasen werden z. B. für die Entwicklung der Bindung an die Eltern und für die Sprachentwicklung postuliert. Ein experimenteller Nachweis dieser Annahmen ist aus ethischen Gründen in der Regel nicht möglich, aber einige natürliche Experimente lieferten wichtige Befunde:

Eine Forschergruppe um Michael Rutter untersuchte die Entwicklung von rumänischen Kindern, die ihre ersten Lebensmonate bzw. Jahre unter sehr widrigen Umständen in Waisenhäusern zubrachten. Sie hatten dort nicht genug zum Essen, fast keinen Kontakt zu Betreuungspersonen und so gut wie kein Spielzeug. Als ein Teil dieser Kinder nach Großbritannien adoptiert wurde, ergab sich die Möglichkeit, den Einfluss der widrigen frühen Erfahrungen auf die weitere Entwicklung zu untersuchen. Die Auswirkungen des Heimaufenthalts unterschieden sich danach, wie lange sie dort waren und mit welchem Alter sie nach Großbritannien kamen. Bei der Ankunft in Großbritannien waren die Kinder massiv unterernährt, hatten meist deutliche körperliche Entwicklungsverzögerungen und wiesen gehäuft Störungen in der kognitiven und sprachlichen Entwicklung, Hyperaktivität sowie Störungen im Sozialverhalten auf. Viele Kinder holten in den folgenden Jahren ihre Entwicklungsverzögerungen auf und das Ausmaß der Störungen ging zurück. Mit sechs Jahren zeigten allerdings noch etwa 20% der Adoptierten eine Bindungsstörung: Sie suchten z. B. in Stresssituationen nicht die Rückversicherung bei den Adoptiveltern und waren ohne Weiteres bereit, mit Fremden mitzugehen. Diese Störung blieb auch mehrheitlich bis zum 11. Lebensjahr bestehen, dem bisher letzten Messzeitpunkt (Rutter et al., 2007). Leider lagen keine ausreichenden Daten darüber vor, ob bzw. wie sich die sozialen Erfahrungen im Heim der Kinder mit Bindungsstörungen von jenen unterschieden, die später eine normale Bindung an die Adoptiveltern entwickelten.

Ein anderes Beispiel für die Wirkung ausbleibender anfänglicher Erfahrungsmöglichkeiten ist ein Mädchen mit Namen Genie, das von seiner Geburt im Jahr 1957 bis zum Jahr 1970 fast gänzlich ohne soziale Kontakte und unter extremer Bewegungseinschränkung aufwuchs. Nach ihrer Befreiung absolvierte sie ein intensives Sprachtraining. Sie erlernte zwar in den Folgejahren die englische Sprache, blieb jedoch auf dem sprachlichen Niveau eines 3bis 4-jährigen Kindes (Curtiss, 1977). Diese Befunde sprechen dafür, dass in für die Entwicklung besonders bedeutsamen Lebensabschnitten gemachte Lernerfahrungen nicht vollständig durch spätere Erfahrungen kompensiert werden können. Trotzdem zeigte sich auch hier ein gewisses Ausmaß an Plastizität.

Formen der Stabilität Stabilität(en)
Stabilität meint erst einmal, dass Merkmale sich nicht verändert haben. Bei der Untersuchung der Veränderung bzw. Stabilität des Erlebens und Verhaltens über die Zeit muss man aber verschiedene Formen der Stabilität unterscheiden (Kagan, 1980; Mortimer, Finch & Kumka, 1982).
• Niveaustabilität (oder Stabilität des Mittelswerts): Hier ist die mittlere Ausprägung eines Merkmals in einer Gruppe von Personen unverändert.
• Korrelative Stabilität (oder Positionsstabilität): Hier sind die interindividuellen Unterschiede in der Ausprägung eines Merkmals unverändert.
• Absolute Stabilität: Wenn zugleich Niveaustabilität und korrelative Stabilität gegeben sind, spricht man von der absoluten Stabilität eines Merkmals.
• Ipsative Stabilität: Die Rangreihe von Merkmalen innerhalb eines Individuums ist stabil. So könnte man Jugendliche zu zwei Messzeitpunkten bitten, die Wichtigkeit von beruflichen Merkmalen für ihre Berufsentscheidung anzugeben, etwa mit neuer Technik zu arbeiten, im Beruf viel Kontakt zu anderen Menschen zu haben…