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Geld im Mittelalter

Jacques Le Goff

 

Verlag Klett-Cotta, 2011

ISBN 9783608101881 , 279 Seiten

Format ePUB

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Einleitung

Um was es sich beim »Geld« handelt1, dafür gab es im Mittelalter keine einheitliche Bezeichnung, weder im Lateinischen noch in den Volkssprachen. Was wir heute unter Geld verstehen, also der Begriff, mit dem der vorliegende Essay betitelt ist, ist ein Produkt der Moderne. Damit sei schon vorab gesagt, dass Geld im Mittelalter keine vorrangige Rolle gespielt hat, weder in ökonomischer oder politischer, noch in psychologischer oder ethischer Hinsicht. Bezeichnungen, die im mittelalterlichen Französisch der heutigen Bedeutung des Wortes am nächsten kommen, sind: monnaie, denier und pécune, etwa Münze, Pfennig und pecunia2. Die realen Dinge, die man heutzutage mit dem Terminus »Geld« bezeichnet, sind nicht dieselben, die das Wesen des damaligen Reichtums ausmachten. Dass »der Reiche« im Mittelalter geboren wurde, wie ein japanischer Mediävist behauptet hat, erscheint mir fraglich, sicher ist allerdings, dass dieser Reiche mindestens genauso reich an Land, Menschen und Macht gewesen ist wie an ausgemünztem Silber.

Hinsichtlich des Geldes stellt das Mittelalter auf die lange Zeitspanne der Geschichte gesehen eine Phase der Regression dar. Geld war weniger wichtig, weniger präsent, als es das im Römischen Reich gewesen war, und von weit geringerer Bedeutung, als es das ab dem 16. und insbesondere ab dem 18. Jahrhundert sein würde. Geld war zwar eine Realität, mit der die mittelalterliche Gesellschaft immer stärker rechnen musste und die Formen anzunehmen begann, die ihm in der Moderne eignen werden, aber die Menschen des Mittelalters, einschließlich der Kaufleute, Kleriker und Theologen, hatten nie eine klare, einheitliche Vorstellung davon, was wir heute unter diesem Begriff fassen.

Zwei wesentliche Themen werden uns in diesem Essay beschäftigen. Welches Los war dem Münzgeld, oder besser: den vielen Münzsorten, in der Wirtschaft, im Leben, in der Mentalität des Mittelalters beschieden? Und wie wurde in dieser religiös geprägten Gesellschaft die von den Christen einzunehmende Haltung gegenüber Geld und seiner Verwendung aufgefasst und gelehrt? Mein Eindruck zum ersten Punkt ist, dass Münzgeld das gesamte Mittelalter hindurch eine seltene Erscheinung, vor allem aber von einer Grundherrschaft zur nächsten in jeweils unterschiedlichen Sorten in Gebrauch war und dass diese Uneinheitlichkeit eine der Ursachen dafür gewesen ist, weshalb sich eine Entwicklung in wirtschaftlicher Hinsicht so schwierig gestaltete. Was das zweite Thema anbelangt, ist zu beobachten, dass das Streben nach Geld und der Umgang mit Geld schrittweise eine Rechtfertigung und Legitimierung erfuhren, sowohl auf individueller als auch auf staatlicher Ebene, trotz der Vorbehalte seitens jener Institution, die Beschränkungen veranlasste und diese steuerte, der Kirche.

Mit Albert Rigaudière lässt sich noch einmal unterstreichen, wie schwer zu fassen dieses Geld ist, das hier untersucht wird: »Wer immer sich an einer Definition versucht, stets entgleitet sie. Geld ist Realität und Fiktion zugleich, Substanz und Funktion, Objekt und Mittel der Eroberung, der Gegenwert für Schutz und Ausschluss, Motor und Zweckbestimmung zwischenmenschlicher Beziehungen; es lässt sich nicht als ein großes Ganzes fassen, ebenso wenig, wie es sich auf eine einzelne Komponente reduzieren lässt.«3 Ich werde versuchen, diese Vielfalt der Bedeutungen des Geldbegriffs zu berücksichtigen und dem Leser zu verdeutlichen, in welchem Sinn er jeweils in diesem Essay Verwendung findet.

Untersucht man den Stellenwert des Geldes im Mittelalter, so kommt man nicht umhin, mindestens zwei große Zeiträume zu unterscheiden. Eine erste Zeitspanne, sagen wir von Kaiser Konstantin bis Franz von Assisi, also vom 4. bis etwa zum ausgehenden 12. Jahrhundert, als Silber seltener wurde und das Münzgeld beinahe verschwand, bis allmählich seine Rückkehr in Gang kam. Der soziale Rang innerhalb der Gesellschaft definierte sich damals in erster Linie über den Gegensatz von potentes und humiles, Mächtigen und Schwachen. Später dann, vom frühen 13. bis zum ausgehenden 15. Jahrhundert, setzte sich das Gegensatzpaar divespauper durch, reich und arm. Die Revolutionierung der Wirtschaft und der Aufschwung der Städte, die Festigung königlicher Macht und die kirchlichen Predigten, insbesondere der Bettelorden, ermöglichten in der Tat, dass die Geldwirtschaft rasche Verbreitung finden konnte, wobei sie die Schwelle zum Kapitalismus noch nicht überschritt, wie mir scheinen will. Diese Entwicklung erfolgte, obwohl damals die freiwillig gewählte Armut aufkam und die Armut Jesu Christi mehr denn je hervorgehoben wurde.

Jetzt schon möchte ich auf zwei Aspekte der mittelalterlichen Geldgeschichte aufmerksam machen. Erstens gab es neben den Realwährungen im Mittelalter Rechnungswährungen, mittels derer die mittelalterliche Gesellschaft, zumindest in bestimmten Kreisen, auf dem Gebiet der Rechnungsführung eine Fertigkeit erreichte, die sie in ihren Wirtschaftspraktiken vorher nicht besessen hatte. Der Abakus, das Rechenbrett des Altertums, wurde im 10. Jahrhundert zu einer Tafel mit Zahlenkolonnen aus arabischen Ziffern weiterentwickelt. Im Jahr 1202 verfasste Leonardo Fibonacci, Sohn eines Zollbeamten der Republik Pisa in Bougie (heute Bejaja, Algerien), den Liber Abaci, in dem er eine für die Buchführung wesentliche Errungenschaft einführte: die Null. Fortschritte solcher Art wurden im Mittelalter ständig erzielt, sie mündeten 1494 in der Schrift Summa de arithmetica des Franziskanermönchs Luca Pacioli, einer Enzyklopädie der Arithmetik und Mathematik, die für den Kaufmannsstand bestimmt war. Zur selben Zeit verbreiteten sich in Deutschland die Nürnberger Rechenbücher.

Weil der Geldgebrauch immer an religiöse und ethische Regeln geknüpft war, möchte ich schon jetzt einige Texte vorstellen, auf die sich die Kirche für die Beurteilung, im Bedarfsfall auch für die Zurechtweisung oder Verdammung der Geldnutzer berufen hat. Sie stehen sämtlich in der Bibel, wobei diejenigen mit der größten Wirkungskraft im mittelalterlichen lateinischen Westen zumeist den Evangelien und seltener dem Alten Testament entnommen wurden, mit Ausnahme eines Satzes, dessen Resonanz bei den Juden ebenso groß war wie bei den Christen. Es ist folgender Vers aus dem Buch Jesus Sirach (31,5): »Wer das Gold liebt, bleibt nicht ungestraft, wer dem Geld nachjagt, versündigt sich.«4 Wir werden später sehen, wie die Juden gegen ihren Willen dazu gebracht wurden, dieses Diktum mehr oder weniger zu vernachlässigen, und wie das mittelalterliche Christentum es im Lauf seiner Entwicklung nuancierte, freilich ohne die darin angelegte pessimistische Grundhaltung gegenüber Geld verschwinden zu lassen. Für die Einstellung zum Geld waren folgende Texte aus dem Neuen Testament von besonderem Gewicht:

Matthäus 6,24: »Niemand kann zwei Herren dienen; er wird entweder den einen hassen und den andern lieben, oder er wird zu dem einen halten und den andern verachten. Ihr könnt nicht beiden dienen, Gott und dem Mammon.«5

Matthäus 19,23–24: »Da sagte Jesus zu seinen Jüngern: Amen, das sage ich euch: Ein Reicher wird nur schwer in das Himmelreich kommen. Nochmals sage ich euch: Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.« Diese Sätze finden sich auch bei den Evangelisten Markus (10,23–25) und Lukas (18,24–25).

Im Lukasevangelium (12,13–22) wird das Anhäufen von Vermögen angeprangert, insbesondere in Vers 15: »Denn der Sinn des Lebens besteht nicht darin, dass ein Mensch aufgrund seines großen Vermögens im Überfluss lebt.« Später werden die Reichen aufgefordert: »Verkauft eure Habe und gebt den Erlös den Armen!« (12,33) Schließlich wird die im Mittelalter viel zitierte Geschichte vom bösen reichen Mann und vom armen Lazarus erzählt (16,19–31). Während der Reiche in die Hölle kommt, wird Lazarus im Paradies empfangen.

Man ahnt, welche Resonanz diese Texte im Mittelalter gefunden haben. Auch wenn der unerbittliche Ton durch Neuinterpretationen abgemildert wurde, drücken sie im Kern aus, was das gesamte Mittelalter hindurch den ökonomischen und religiösen Kontext des Geldgebrauchs bildete: Verdammung der Habgier als Todsünde, Lob der caritas und schließlich – unter dem Aspekt des Seelenheils, das für die Männer und Frauen des Mittelalters von höchster Wichtigkeit war – Verherrlichung der Armen und Darstellung der Armut als ein von Jesus Christus verkörpertes Ideal.

Wenn wir nun die Geldgeschichte des Mittelalters mit Hilfe bildlicher Zeugnisse genauer betrachten, stellen wir fest, dass die mittelalterlichen Darstellungen, in denen Geld – zumeist in symbolischer Weise – gezeigt wird, immer negativ besetzt sind. Sie lassen die Absicht erkennen, den Betrachter einzuschüchtern, um ihn die Furcht vor dem Geld zu lehren. Die häufigste Darstellung ist eine Episode aus der Lebensgeschichte Jesu. Sie zeigt Judas, als er die 30 Silberstücke erhält, für die er seinen Meister an diejenigen verraten hat, die ihn kreuzigen werden. Im Hortus Deliciarum, einer berühmten, reich illustrierten Handschrift aus dem 12. Jahrhundert, ist das Blatt mit der Darstellung des Judas, dem das Geld für seinen Verrat ausgehändigt wird, mit folgendem Kommentar versehen: »Judas gehört der übelsten Sorte Händler an, den Wucherern, die Jesus aus dem Tempel verjagte, denn sie setzen ihre Hoffnung in Reichtümer und wollen, dass das Geld...