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Zukunft mit Kindern - Fertilität und gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland, Österreich und der Schweiz

Günter Stock, Hans Bertram, Alexia Fürnkranz-Prskawetz, Wolfgang Holzgreve, Martin Kohli, Ursula M. Staudinger

 

Verlag Campus Verlag, 2012

ISBN 9783593418162 , 473 Seiten

Format PDF, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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31,99 EUR

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Seit mehreren Jahrzehnten sind in Deutschland, Österreich und der Schweiz sehr niedrige Geburtenraten zu verzeichnen. Das hat zur Folge, dass die Zahl der potenziellen Mütter heute viel geringer ist als noch vor einer Generation. In der Öffentlichkeit, der Politik und der Wissenschaft wird diese Entwicklung seit Langem breit diskutiert. Allerdings stehen dabei meist die Konsequenzen geringer Kinderzahlen für die Gesellschaft im Vordergrund, und die Debatte ist von Themen wie Pflegenotstand, Fachkräftemangel oder Rentenfinanzierung geprägt. Solche Krisenszenarien sind nicht neu, sondern haben die Geburtenentwicklung im 19. wie im 20. Jahrhundert in vielen europäischen Ländern begleitet: Diese defizit-orientierte Sichtweise ist den modernen Gesellschaften vertraut.

Die gemeinsame interdisziplinäre Arbeitsgruppe 'Zukunft mit Kindern - Fertilität und gesellschaftliche Entwicklung' der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, die diesen Bericht vorlegt, hat sich für eine andere Perspektive entschieden. Sie wählte keinen defizit-orientierten, sondern einen konstruktiven, zukunftsgerichteten Weg, um die Ursachen der niedrigen Geburtenzahlen in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu untersuchen. Die Arbeitsgruppe, der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus allen drei Ländern angehörten, legt politische Vorschläge vor, die dazu beitragen können, die Lebensbedingungen von Kindern und Eltern zu verbessern. Ihr Anliegen ist nicht, zu untersuchen, wie eine Gesellschaft, in der die Menschen länger leben, damit zurechtkommt, dass immer weniger Kinder geboren werden. Vielmehr geht es der Arbeitsgruppe darum, aufzuzeigen, wie die Lebenssituation von Kindern und Eltern in der heutigen Gesellschaft zu verbessern ist, um dadurch die Realisierung von Kinderwünschen zu erleichtern.

Zwei Begriffe sind aus Sicht der Arbeitsgruppe zentral, wenn es um die 'Zukunft mit Kindern' geht: das kindliche und das elterliche Wohlbefinden. Wie es in einer Gesellschaft darum bestellt ist, kann eine Analyse von mehreren Einzelaspekten zeigen, zu denen die materielle Lage von Eltern und Kindern, ihre gesundheitliche Entwicklung, ihre Teilhabe an Bildung und ihre subjektive Zufriedenheit zählen. Nötig für elterliches Wohlbefinden ist, dass Eltern überhaupt die Zeit finden, die aus ihrer subjektiven Sicht erforderlich ist, um sich um ihre Kinder tatsächlich kümmern zu können, dass sie aber auch die Zeit haben, die sie als Partner füreinander brauchen. Diese Konzeption von Wohlbefinden legt nahe, dass die Teilhabe an Bildung, Beruf und zivilgesellschaftlichem Engagement nicht alternativ zur elterlichen Fürsorge gesehen wird, sondern dass elterliche Fürsorge die gleiche Bedeutung bei der Lebensgestaltung hat wie andere gesellschaftliche Bereiche.

In der klassischen Industriegesellschaft war die Teilhabe an den verschiedenen Lebensbereichen geschlechtsspezifisch geteilt. Dies hatte zur Folge, dass Männer und Väter sich stark über den Beruf definierten, Frauen und Mütter hingegen im Wesentlichen über die Fürsorge für Kinder und den Haushalt. Dagegen gehen wir in diesem Bericht davon aus, dass die Teilhabe an den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen ein integrativer Bestandteil des Lebenslaufs sowohl von Männern wie von Frauen sein sollte.

Bismarck hatte mit seiner Sozialreform ein Modell des dreigeteilten Lebenslaufs konzipiert: mit Kindheit und Jugend als Lernphase, dem Erwachsenenalter als Arbeitsphase für die Männer und Fürsorgephase für die Frauen und der anschließenden Rentenphase. Bei einer Lebenserwartung von etwa 65 Jahren entsprach dieses klassische Modell möglicherweise der Realität. Bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung von heutzutage annähernd 80 Jahren ist es jedoch infrage zu stellen, weil ein so langer Zeithorizont ganz andere Herausforderungen an eine sinnvolle und befriedigende Lebensgestaltung mit sich bringt. Deshalb hat sich die Arbeitsgruppe auch damit auseinandergesetzt, dass durch das Festhalten an der althergebrachten Dreiteilung des Lebenslaufs in der heutigen Gesellschaft im zweiten Drittel eine 'Rushhour des Lebens' entsteht, weil zu viele Herausforderungen in einer eher kurzen Lebensphase zu bewältigen sind. Zukunft mit Kindern heißt aus dieser Perspektive vor allem, die Gestaltung von Lebensläufen neu zu denken, damit allen dauerhaft die gleiche Teilhabe an den gesellschaftlichen Lebensbereichen ermöglicht wird.

Migration wird in diesem Bericht bei der Untersuchung der demographischen Entwicklung insbesondere unter der Perspektive innerstaatlicher Mi­grationsprozesse sorgfältig analysiert, aber bei der Diskussion um die Verbesserung der Lebensbedingungen von Kindern in unserer Gesellschaft nicht mehr eigens thematisiert. Denn die unterschiedlichen Zukunftschancen von Kindern hängen viel stärker von ihrem sozialen Hintergrund und dem regionalen Kontext, in dem sie leben, ab als von ihrer ethnischen Herkunft.

Wer sich empirisch mit der Geburtenentwicklung in verschiedenen Ländern auseinandersetzt, wird mit einer Vielzahl unterschiedlicher Konzepte und Daten konfrontiert, die sich nicht ohne Weiteres zu einem stimmigen Ganzen fügen. Selbst das, was häufig als sichere Datenbasis wahrgenommen wird, ist zu hinterfragen. So wird die in der Öffentlichkeit immer wieder diskutierte 'zusammengefasste Geburtenziffer' (Total Fertility Rate, TFR) in diesem Bericht kritisch betrachtet, weil sie die tatsächliche Geburtenentwicklung nicht richtig abbildet. Hier müssen möglicherweise andere Indikatoren entwickelt werden.

Auch die Frage, ob Ländervergleiche - etwa auf OECD-Ebene - automatisch zuverlässige Aussagen ermöglichen, drängt sich auf. Denn die Variation zwischen verschiedenen Regionen innerhalb der Länder ist so groß, dass Mittelwerte nicht automatisch aussagekräftig sind. Das mag nach einer fachinternen Diskussion der demographischen Forschung klingen, doch es hat erhebliche politische Implikationen. Denn einzelne Maßnahmen wirken sich in verschiedenen regionalen Kontexten möglicherweise ganz unterschiedlich aus.

Die Konzentration auf die drei Länder Deutschland, Österreich und die Schweiz eröffnete der Arbeitsgruppe die Möglichkeit, beim Abgleich und der Analyse der Daten auf die regionale Ebene der Gesellschaften zu kommen. Das stellte eine Vergleichbarkeit der zugrunde liegenden empirischen Daten und damit der hier getroffenen Aussagen sicher. Die Arbeitsgruppe ist davon überzeugt, dass dies für die Politikberatung sinnvoll und zukunftsweisend ist, weil die Wirkung von Maßnahmen im Bereich von Kindheit und Familie in hohem Maße kontextabhängig ist. Vorstellbar ist nun, dass die Studien einzelner Gesellschaften mit hoher Tiefenschärfe ergänzt werden um Studien, die eine größere Zahl von Ländern einbeziehen. Damit ließe sich prüfen, ob die in einzelnen Fällen gefundenen Wirkungszusammenhänge generalisierbar sind. Die Kombination der wissenschaftlichen Betrachtung ausgewählter Gesellschaften und Regionen mit Studien, die mehrere Gesellschaften oder Länder vergleichend analysieren, ist aus unserer Sicht gerade im europäischen Kontext eine zukunftsweisende Wissenschaftskonzeption.

In der Familienpolitik wie auch in der Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik geht man häufig von der Vorstellung aus, dass Individuen ihre Entscheidungen auf Basis zweckrationaler Kalküle treffen. Demgegenüber wird in diesem Bericht ausführlich die gesamte Breite der aktuellen Theorien, die international hinsichtlich der Entscheidung für Kinder und des Zusammenlebens mit ihnen diskutiert werden, systematisiert und aufbereitet. Wir hoffen, mit dieser Analyse zu verdeutlichen, dass der Ansatz einer zweckrationalen Interpretation dieser Entscheidungsprozesse allein zu kurz greift. Auch wenn hier keine endgültige und eindeutige Theorie der Entscheidung für Kinder und des Zusammenlebens mit Kindern zu formulieren war, so war es doch unser Anspruch, die verschiedenen Theoriestränge aufeinander zu beziehen und aufzuzeigen, in welcher Weise sie weiterzuentwickeln sind.

Dabei zeigte sich deutlich, dass die klassisch-disziplinäre Trennung bei solch komplexen Analysen nur partiell von Nutzen ist. Denn derartige Entscheidungsprozesse enthalten neben individualpsychologischen, sozialpsychologischen, soziologischen und ökonomischen Komponenten eben auch biologisch-medizinische Aspekte. Das war der Grund dafür, dass die Arbeitsgruppe von Beginn an interdisziplinär aufgestellt war und neben Demographen, Ökonomen, Historikern, Psychologen und Sozialwissenschaftlern auch Mediziner einbezogen waren. Im Verlauf der Diskussionen stellte sich heraus, dass eine Reihe von medizinischen und teilweise auch biologischen Fragestellungen und Erkenntnissen für die Zukunft mit Kindern von zentraler Bedeutung ist.