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Demokratie und Sozialregulierung in Europa - Die Online-Konsultationen der EU-Kommission

Thorsten Hüller

 

Verlag Campus Verlag, 2010

ISBN 9783593409535 , 268 Seiten

Format PDF, OL

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35,99 EUR

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II Demokratie in der europäischen Mehrebenenpolitik - Normative Standards, Defizite und Reformoptionen 'An interesting feature of the democratisation discussion in Europe, specially the blueprints for change, concerns the very understanding of democracy. Very rarely, if at all, is there more than cursory acknowledgement of the uneasy co-existence of competing visions and models of democracy which, in turn, should inform both diagnosis, prognosis and possible remedy of democratic shortcomings.' (Weiler, Joseph H.H. u.a. 1995: 5) 'Die Demokratie der EU muss [...] auf ihr eigentümliches Mehrebenensystem zugeschnitten werden. Eine einfache Übertragung von Institutionen, die sich im Prozess der Demokratisierung der westlichen Nationalstaaten herausgebildet haben, ist [...] wenig erfolgversprechend.' (Benz 1998: 346) Der skeptische Duktus, den diese beiden Zitate aus der alten Debatte um die Demokratie in der europäischen Mehrebenenpolitik zum Ausdruck bringen, ist sehr wohltuend. Zum einen weisen sie auf den normativen Pluralismus an Demokratievorstellungen hin. Zum anderen heben sie hervor, dass in den Nationalstaaten erprobte Institutionalisierungsformen nicht einfach als demokratische Lösungen in der europäischen Mehrebenenpolitik übertragen werden können. Wenn man diese kaum strittigen Formulierungen zum Ausgangspunkt nimmt, kann man davon überrascht sein, wie wenig brauchbare Lösungen die Debatten in den vergangenen Jahren für diese beiden Probleme hervorgebracht haben. Warum steht eine derart steile Kritik hier zu Beginn des Demokratieteils? Weil, so die These, weder der normative Pluralismus an Demokratiekonzeptionen noch das Übertragungsproblem methodisch vernünftig angegangen beziehungsweise zureichend bearbeitet worden sind in der europäischen Demokratieforschung. Beginnen wir mit dem im Benz-Zitat benannten Übertragungsproblem. Wenn wir vor dem Problem stehen, dass die demokratierelevanten Institutionalisierungsformen aus dem Nationalstaat nicht einfach auf die EU übertragen werden können, dann müssen wir nach geeigneten Institutionalisierungsformen suchen. Zuvor muss dafür geklärt sein, welchen normativen Ansprüchen diese Institutionen genügen sollen. Ohne diese Festlegung kann die Debatte um angemessene demokratische Institutionen nicht vernünftig geführt werden. Das Weiler-Zitat besagt nun nicht nur, dass es diese Diskussion kaum gibt, sondern darüber hinaus, dass wir an deren zentraler Stelle auf einen normativen Pluralismus stoßen - auf unterschiedliche, vernünftige normative Demokratievorstellungen. Dass es keine eindeutige Lösung für diesen normativen Konflikt gibt und geben kann, sehen natürlich nicht alle Beteiligten so (Höreth 2009; Neyer 2009). Strittig ist beziehungsweise sollte sein, welche normativen Prinzipien, in welcher normativen Rangfolge durch welche Institutionalisierungen befördert werden sollen und können und wie diese in einer integrierten EU-Perspektive über die politischen Ebenen und Entscheidungsgegenstände in einer Gesamtordnung auszugestalten sind. Von den vielen Problemen, die im Durchgang dieses Teils abgearbeitet werden, seien hier nur zwei kurz angetippt. Die Frage nach einem europäischen Demos, der die Attribute nationaler Demoi kopiert (jedoch diese empirisch nicht erreicht), ist der argumentative Kern in zahllosen Kritiken an der europäischen Demokratiefähigkeit. Die eigentliche Argumentationslast bestünde aber darin zu zeigen, dass der ?schwache? europäische Demos nicht in der Lage ist, den spezifischen europäischen Anteil an Lasten zu schultern, die ihm aufgebürdet werden. Der Beweis dafür steht jedenfalls noch aus (siehe Kapitel 2). Mir geht es dabei vor allem darum, dass die gesamte dichotomisierende Herangehensweise am eigentlichen Problem vorbeizielt: Die europäische Politik ist nicht demokratisch oder nicht-demokratisch, sondern die Politik im europäischen Mehrebenensystem weist graduelle Unterschiede in ihrer Demokratiequalität auf, die sich durchaus über die Zeit und mit dem Maß an europäischer Integration verändern können. ?Europa oder Demokratie? bildet vor dem Hintergrund über die Ebenen geteilter und verschränkter Machtausübung keine klare Alternative. Es gibt seit geraumer Zeit Versuche, jenseits der einfachen Übertragung institutioneller Vorstellungen aus der vergleichenden Demokratieforschung, die demokratische Qualität der EU zu messen und dabei auch dem Problem des normativen Pluralismus zu begegnen (Abromeit 2002; Lord 2004; 2007; 2008). Abromeit wie Lord sehen in dem Ausweis eines minimalen Demokratiekonzepts die Lösung für das normative Pluralismusproblem. Zwischen viel und wenig zu unterscheiden macht aber nur Sinn, wenn über das gleiche Gut gesprochen wird. Nehmen wir an, Vertreter eines egalitären Demokratieverständnisses wollen Institutionen realisieren, die die Präferenzen des europäischen Medianwählers soweit es geht realisieren in der EU und Vertreter eines liberalen Politikverständnisses trachten danach, individuelle Freiheitsräume zu maximieren, dann ist nicht sofort klar, wie ein minimales normatives Demokratieverständnis aussehen soll, dass nicht einseitig Partei für eines dieser Politikverständnisse ergreift. Man mag nun kritisieren, dass die zweite Konzeption gar nichts mit Demokratie zu tun hat und so das Problem wegdefinieren. Es sollte aber offensichtlich sein, dass darüber auch der normative Pluralismus einfach wegdefiniert werden würde. Sicher kann man minimale Demokratieverständnisse messen, aber wenn es einen normativen Pluralismus gibt, dann müsste man diese Minima auch in der Mehrzahl messen oder zeigen, warum ein spezifisches Demokratieverständnis normativ vorzuziehen ist. In den folgenden fünf Kapiteln soll eine Schneise durch die verschiedenen Aspekte der Fragen zur europäischen Demokratie/Demokratisierung und eines möglichen Defizits gezogen werden. Zunächst wende ich mich den verschiedenen Positionen bezüglich der Fragen zu, ob die EU demokratisch sein kann und soll. Dabei werde ich argumentieren, dass zumindest für die (ehemalige) erste Säule der EU Demokratie ein vernünftiges Ziel darstellt (Kapitel 2). Anschließend wende ich mich den wichtigsten methodischen und konzeptionellen Problemen europäischer Demokratiemessung zu, um darüber Hinweise für ein adäquates 'europafähiges Demokratiekonzept' (Benz) zu gewinnen (Kapitel 3). Anschließend werde ich einen Vorschlag für ein offenes, normatives Demokratiekonzept unterbreiten (Kapitel 4) und einige allgemeine Hinweise zu dessen Operationalisierbarkeit geben (Kapitel 5). Erst vor diesem theoretischen Hintergrund kann die Frage nach der Qualität europäischer Demokratie, nach möglichen Defiziten und Reformoptionen sinnvoll angegangen werden (Kapitel 6).