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Aggressiv-oppositionelles Verhalten im Kindesalter

Franz Petermann, Manfred Döpfner, Anja Görtz-Dorten

 

Verlag Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2016

ISBN 9783840926488 , 193 Seiten

3. Auflage

Format PDF, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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21,99 EUR


 

1.2 Epidemiologie und Verlauf (S. 11-12)

Seit ungefähr 15 Jahren liegt eine Vielzahl von Längsschnittstudien vor, die sich mit der Prävalenz und dem Verlauf aggressiven Verhaltens beschäftigen. Die Prävalenzen variieren sehr stark in Abhängigkeit vom Geschlecht und dem Alter der Kinder sowie dem Erhebungsverfahren (klinisches Interview, Checklisten, Verhaltensbeobachtungen) und dem Urteiler. Die Angaben für die Altersgruppe der 5- bis 15-Jährigen schwanken zwischen 1,5 % (Ford, Goodman & Meltzer, 2003) bis 7,1 % (Lecendreux, Konofal & Faraene, 2011).

Generell sind ein kontinuierlicher Anstieg in der Auftretensrate aggressiven Verhaltens vom Kindes- bis zum Jugendalter und ein deutlicher Rückgang nach dem Heranwachsendenalter (ab dem 21. Lebensjahr) zu verzeichnen. Die Symptomatik erweist sich – wie schon erwähnt – darüber hinaus als geschlechtsabhängig: Während Jungen häufiger eher direkte und ernstere aggressive Verhaltensweisen aufweisen, wählen Mädchen eher indirekte (relationale) Formen (z. B. soziale Manipulation, verbale Attacken).

Aggressives Verhalten ist im Verlauf sehr stabil und geht mit vielfältigen psychosozialen Beeinträchtigungen einher. Der Entwicklungsverlauf aggressiven Verhaltens vom frühen Kindes- bis zum Erwachsenenalter lässt sich wie folgt beschreiben: Je nach Alter des Kindes werden unterschiedliche Verhaltensweisen gezeigt, die sich in ihrem Ausmaß über den weiteren Entwicklungsverlauf von zunächst oppositionellen zu offen aggressiven bis hin zu gewalttätigen Verhaltensweisen steigern (zusammenfassend Petermann & Koglin, 2013). Die Stabilität aggressiven Verhaltens wird somit insbesondere durch einen frühen Störungsbeginn, eine hohe Frequenz und Intensität des Verhaltens, eine große Vielfalt unterschiedlicher Verhaltensweisen und eine Vielzahl betroffener Bereiche, in denen das Verhalten gezeigt wird, begünstigt.

Die Stabilität aggressiven Verhaltens hängt zumindest von vier Faktoren ab; so sind solche Verhaltensweisen besonders stabil, wenn sie
• früh in der Kindheit beginnen,
• sehr häufig auftreten,
• viele Verhaltensbereiche betreffen und zudem
• auf viele Lebensbereiche (Freundeskreis, Familie, Schule) bezogen auftreten (= Generalisierung).

Hierbei handelt es sich nicht um voneinander unabhängige Faktoren, die nachhaltig die Prognose für aggressives Verhalten beeinflussen. So generalisiert ein Problemverhalten dann besonders stark, wenn es besonders früh auftritt.

1.3 Komorbide Störungen

Aggressives und oppositionelles Verhalten geht oftmals mit einer Reihe weiterer psychischer Störungen einher, wie der Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung (ADHS), Störungen der Impulskontrolle, aber auch depressiven Störungen. Liegt eine psychische Mehrfachbelastung vor, so sind schwerwiegendere und weitreichendere psychosoziale Belastungen (z. B. Ablehnung durch Gleichaltrige, Defizite in der Impulskontrolle oder sozial-kognitive Defizite) festzustellen. ADHS im frühen Kindesalter ist oft mit dem frühen Beginn einer Störung des Sozialverhaltens assoziiert. Besonders gut belegt ist das gemeinsame Auftreten von ADHS und aggressivem Verhalten. In einer Metaanalyse von Studien, deren Stichproben aus der Allgemeinbevölkerung stammten und bei denen das DSM-IV zur Diagnosestellung herangezogen wurde, resultierte ein 21-fach erhöhtes Risiko für ADHS-Kinder auch in der Folge aggressives Problemverhalten herauszubilden (Witthöft, Koglin & Petermann, 2010). Generell weisen dabei Kinder mit einer Störung des Sozialverhaltens und einer ADHS einen problematischeren Entwicklungsweg auf als ADHS-Kinder ohne komorbide Störungen (Witthöft, Koglin & Petermann, 2010). Ein früher Beginn einer Störung des Sozialverhaltens ist wiederum mit dem frühen und anhaltenden Auftreten krimineller Delikte und dissozialer Verhaltensweisen verknüpft (Moffitt, 1993; zusammenfassend Petermann & Koglin, 2013).

Auch bei den Studien zur Komorbidität gilt, dass die Höhe der festgestellten Komorbidität stark in Abhängigkeit der zugrunde gelegten Klassifikationssysteme und Erhebungsverfahren variiert.

In einer sehr stark beachteten Übersicht geben Loeber, Burke, Lahey, Winters & Zera (2000) Hinweise darauf, in welcher Form
• eine Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung,
• oppositionelles Verhalten,
• aggressives Verhalten,
• Depression,
• Substanzmissbrauch und die
• antisoziale Persönlichkeitsstörung (im jungen Erwachsenenalter) im Zusammenhang stehen (vgl. Abbildung 1).

Die Darstellung der komorbiden Konstellationen im zeitlichen Verlauf (vgl. Abbildung 1) weist der ADHS eine zentrale Bedeutung im Kontext der Entwicklung aggressiven Verhaltens zu. Der indirekte Entwicklungsweg von der ADHS über das oppositionelle Verhalten hin zum aggressiven Verhalten ist dabei besonders häufig.