dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Metakognitive Therapie

Cornelia Exner, Jana Hansmeier

 

Verlag Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2020

ISBN 9783840927690 , 104 Seiten

Format PDF, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

16,99 EUR


 

2 Das metakognitive Störungsmodell


2.1 Übergeordnetes Störungsmodell


Das metakognitive Störungsmodell geht von der Annahme aus, dass eine adäquate Bewertung und Steuerung eigener mentaler Vorgänge entscheidend für die psychische Gesundheit ist. Metakognitionen beschäftigen sich also mit dem „Denken über das Denken“. Dabei wird häufig auf die Definition des Entwicklungspsychologen John Flavell (1979) zurückgegriffen, der als „Vater“ der wissenschaftlichen Beschäftigung mit metakognitiven Phänomenen gilt, allerdings eher mit Bezug auf die Entwicklungs- und Lernpsychologie. Er beschrieb 1979 in einem wegweisenden Aufsatz Metakognitionen als „das Wissen und die Kognition über kognitive Phänomene“. Aus Flavells allgemeinem Metakognitionsmodell abgeleitet, unterscheidet auch das metakognitive Modell psychischer Störungen von Wells zwei verschiedene metakognitive Phänomene: (a) metakognitives Wissen und (b) metakognitive Regulation/Strategien.

|9|2.1.1 Metakognitives Wissen

Metakognitives Wissen bezieht sich einerseits auf die Bewertung der eigenen kognitiven Leistungsfähigkeit. Dieser Aspekt metakognitiver Phänomene wird auch als kognitives Vertrauen (cognitive confidence) bezeichnet. Das Ausmaß kognitiven Vertrauens bestimmt, wie stark Menschen auf die Produkte ihrer eigenen geistigen Tätigkeit in der Vergangenheit oder Zukunft vertrauen. Gehe ich z. B. davon aus, dass meine Erinnerung an zurückliegende Ereignisse korrekt ist oder misstraue ich meinem Gedächtnis? Vertraue ich auf meine Problemlösefähigkeiten oder zweifle ich an meiner Fähigkeit, Probleme durchdringen und lösen zu können?

Weiterhin schließt metakognitives Wissen Annahmen über das eigene Denken ein, bezieht sich also z. B. auf Annahmen über die Nützlichkeit und Zuverlässigkeit von Gedanken und über die eigene Fähigkeit, Denkprozesse zu kontrollieren. Dabei wird zwischen positiven und negativen Metakognitionen unterschieden. Positive Metakognitionen betreffen Annahmen über die Nützlichkeit bestimmter mentaler Vorgänge. Negative Metakognitionen hingegen beziehen sich auf die Gefährlichkeit von Denkprozessen:

Beispiel

So könnte zum Beispiel eine Patientin mit einer Generalisierten Angststörung (GAS) annehmen, dass es hilfreich und ratsam ist, sich Sorgen zu machen, um eventuelle Gefahren zu erkennen und vorbeugen zu können (positive Metakognition). Die Patientin könnte aber zugleich besorgt sein, dass sie ihre Sorgen nicht mehr kontrollieren kann und dass zu viele Sorgen ihre Gesundheit schädigen werden (negative Metakognition).

2.1.2 Metakognitive Regulation/Strategien

Metakognitive Regulationsmechanismen bezeichnen die Fähigkeit, eigene Denkprozesse zu regulieren, also z. B. die Aufmerksamkeit von inneren oder äußeren Ereignissen abziehen und auf andere Gegenstände richten zu können. Wie gut es Menschen gelingt, Aufmerksamkeits- und Denkprozesse zu steuern, ist zum einen von individuellen exekutiven Fähigkeiten, z. B. zur Aufmerksamkeitskontrolle, abhängig, aber auch von den Annahmen, die sie über die Nützlichkeit bestimmter Prozesse und Strategien haben (vgl. Kapitel 2.1.1). Aus positiven und negativen metakognitiven Annahmen entstehen nun auch unterschiedliche Strategien zum Umgang mit dem eigenen Denken. So können positive metakognitive Annahmen dazu führen, dass Grübel- und Sorgenprozesse bewusst angestoßen und in Gang gehalten werden.

|10|Beispiel

Stellen wir uns wieder die oben erwähnte Patientin mit GAS vor, die überzeugt ist, dass es ratsam ist, bei Alltagssituationen alle möglichen Ausgänge vorher gedanklich durchzuspielen, um auf mögliche Gefahren vorbereit zu sein. Diese Person würde sich zum Beispiel vor einem Schulausflug des Kindes viele Sorgen machen und selbst sehr unwahrscheinliche Szenarien im Kopf durchspielen, auf die andere Eltern niemals kommen würden.

Negative Metakognitionen dagegen können dazu führen, dass Strategien angewendet werden, um Gedanken zu kontrollieren oder zu unterdrücken. Eine Person, die überzeugt ist, dass negative Gedanken (z. B. an den Tod) ein Unglück herbeiführen oder ankündigen können, wird alles daransetzen, diese Gedanken gar nicht erst aufkommen zu lassen oder sie schnell wieder loszuwerden. Sowohl positive wie negative metakognitive Annahmen können also zu langanhaltenden, nach innen gerichteten Denkprozessen beitragen, die negative Gefühle aufrechterhalten und produktive Problemlösungen verhindern.

2.2 Das kognitive Aufmerksamkeitssyndrom als Kernannahme des metakognitiven Störungsmodells


Das metakognitive Störungsmodell geht davon aus, dass vielen psychischen Störungen ähnliche dysfunktionale Denkprozesse zugrunde liegen, dass sich also psychische Störungen durch einen bestimmten Stil der Informationsverarbeitung beschreiben lassen, der vor allem durch metakognitive Defizite bestimmt ist. Über verschiedene psychische Störungen hinweg scheint es demnach ein bestimmtes maladaptives „Muster“ zu geben, das als kognitives Aufmerksamkeitssyndrom (cognitive attentional syndrome, CAS) bezeichnet wird (vgl. Kasten).

Das kognitive Aufmerksamkeitssyndrom

Das kognitive Aufmerksamkeitssyndrom stellt ein übergreifendes Merkmal emotionaler Störungen dar und ist gekennzeichnet durch:

  • eine dysfunktionale Aufmerksamkeitslenkung. Die Aufmerksamkeit ist vermehrt und unflexibel nach innen und auf negative Stimuli, Gefühle oder Erlebnisse ausgerichtet (Bedrohungsmonitoring).

  • einen perseverativen Denkstil. Die Betroffenen verstricken sich selbst vermehrt und unkontrollierbar in repetitive, negative und selbstbezogene mentale Prozesse, wie Grübeln oder Sich-Sorgen.

  • |11|dysfunktionales Copingverhalten. Die Betroffenen nutzen ungünstige mentale und behaviorale Strategien zum Umgang mit negativen Gedanken und Gefühlen, die fehlerhafte Überzeugungen nicht korrigieren, z. B. Gedankenunterdrückung oder Vermeidung.

Diese perseverierende, selbstbezogene Form der Informationsverarbeitung hält aversive Emotionen und ein Gefühl der persönlichen Bedrohung aufrecht. Das kognitive Aufmerksamkeitssyndrom (CAS) entspringt den metakognitiven Überzeugungen einer Person und wird in problematischen Situationen aktiviert. Die Aktivierung ungünstiger kognitiver und behavioraler Verarbeitungsprozesse bei psychischen Störungen lässt sich im Rahmen eines allgemeinen Informationsverarbeitungsmodells erklären.

2.3 Ein kognitionspsychologisches Modell psychischer Störungen: das S-REF-Modell


Das Self-Regulatory Executive Function Model (S-REF-Modell) (Wells & Matthews, 1996) postuliert, dass kognitive Prozesse sich auf drei hierarchischen Ebenen vollziehen:

Wie in Abbildung 1 dargestellt, findet auf der untersten Ebene die automatische und reflexive Verarbeitung größtenteils ohne bewusste Verarbeitung statt. Die bewusste Verarbeitung und Bewertung von Gedanken ist auf der mittleren Ebene angesiedelt. Auf dieser Ebene finden selbstbezogene regulatorische (S-REF) Prozesse statt. Kognitive Phänomene werden so bewertet und gesteuert, dass sie den persönlichen Zielsetzungen dienen. Bei der Bewertung und Auswahl von kognitiven Inhalten und Strategien kommt der persönliche kognitive Stil des Individuums zum Tragen. Welchen Stil die Person dabei „wählt“, hängt vom Metasystem auf der obersten Ebene ab. Das Metasystem ist dabei Sitz des metakognitiven Wissens einer Person und hat eine überwachende und steuernde Funktion. Ungünstige metakognitive Überzeugungen führen dann zur Auswahl ungünstiger Regulationsstrategien. Wenn eine Person also annimmt, dass sie...