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Deichgrab - Kriminalroman

Sandra Dünschede

 

Verlag Gmeiner-Verlag, 2006

ISBN 9783839232644 , 380 Seiten

13. Auflage

Format PDF, ePUB, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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11,99 EUR

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    Vom Deutschen ins Hebräische - Übersetzungen aus dem Deutschen im jüdischen Palästina 1882-1948
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  • Reformatorische Prägungen - Studien zur Theologie Martin Luthers und zur Reformationszeit
    Creation, Nature and Hope in 4 Ezra
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    Religionen des Alten Orients - Hethiter und Iran
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    RELi + wir. Werkbuch - Schuljahr 5 - 6 - 7
    Wo glaubst du hin? - Kreatives Schreiben im Religionsunterricht

     

     

 

 

4


Als er wach wurde, schien die Sonne durch das kleine Dachfenster. Er stand auf, öffnete es ganz weit und atmete tief ein.

›Was für eine tolle Luft‹, dachte er, ›einfach einmalig!‹ In München hatte er oft das Gefühl, gar nicht richtig atmen zu können. Diese stickige, heiße Luft, die abgestanden und verbraucht über der Stadt hing. Überhaupt kein Vergleich zu hier: die Frische und Würze der Seeluft, die den Kopf frei machten. Für einen winzigen Augenblick schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, Onkel Hannes’ Haus zu behalten und hierherzuziehen. Das Dorf schien so friedlich. Er schüttelte seinen Kopf, als könne er damit die für ihn so absurden Gedanken vertreiben.

In der Küche standen noch Brot und Käse. Eine Fliege hatte sich bereits darauf niedergelassen. In aller Ruhe erkundete sie die Essensreste auf dem Teller. Tom verscheuchte das Insekt, als er nach einem Stück Käse griff.

Im kleinen Bad direkt neben der Treppe putzte er sich kurz die Zähne und spritzte etwas kaltes Wasser in sein Gesicht. Er zog sich an, nahm seine Jacke, griff nach den Autoschlüsseln auf dem Regal im Flur und trat hinaus in die angenehm frische Morgenluft. Der Himmel war strahlend blau, nur ein paar winzig kleine Wolken trieben hier und da träge vor sich hin. Er fuhr den kleinen Weg hinter dem Haus entlang, der zum Friedhof führte.

Frank Petersen stieg aus dem Taxi. Es war früh am Morgen, alle Bewohner des Hofes schienen noch zu schlafen.

Im Hausflur kam ihm der Knecht entgegen. Ohne ein Wort gingen sie aneinander vorbei. »Lass ihn doch denken, was er will«, murmelte Frank. Er polterte die Treppe in den ersten Stock hinauf. Oben blieb er kurz stehen, horchte, ob jemand wach geworden war, doch alles blieb ruhig.

»Tja, Alter«, flüsterte Frank schadenfroh vor der Tür zum Zimmer seines Vaters, »deine Ohren sind auch nicht mehr das, was sie mal waren.«

Er ging ins Wohnzimmer, schaltete das Radio ein. Herbert Grönemeyer sang gerade »Alkohol«, und Frank grölte laut mit. Aus seiner Manteltasche holte er Zigaretten und Streichhölzer. Erst mit dem dritten Streichholz gelang es ihm, die Zigarette zum Glimmen zu bringen. Er ließ sich auf das Sofa fallen und inhalierte den Rauch. Vom Flur her hörte er schlurfende Schritte, und unweigerlich verzog sich sein Mund zu einem breiten Grinsen, noch ehe die Tür geöffnet worden war.

»Wo bist du gewesen?«, wollte Broder von ihm wissen.

»Guten Morgen erst einmal«, entgegnete Frank, »und um auf deine Frage zu antworten: Ich war aus.«

»Aus, aus, die ganzen letzten Wochen warst du aus. Wo du gewesen bist, will ich wissen.«

»Ich glaube nicht, dass dich das was angeht.«

Frank drückte die Zigarette in dem kleinen Metall-aschenbecher vor sich auf dem Couchtisch aus, dann stand er auf und trat Broder gegenüber. Rein körperlich war Frank seinem Vater schon lange überlegen, einen Kopf größer und ein Kreuz, das beinahe doppelt so breit war wie Broders. Überhaupt kam Frank mehr nach seiner Mutter. Für eine Frau war sie sehr groß und stämmig gewesen, eher ein burschikoser Typ. Und das dunkle Haar hatte Frank ebenfalls von ihr geerbt.

»Wenn du mich jetzt wohl entschuldigst? Ich habe noch Schlaf nachzuholen.«

Frank schob sich ohne ein weiteres Wort an seinem Vater vorbei in den Flur und verschwand im Schlafzimmer. Angezogen warf er sich aufs Bett. Durch einen kurzen Seitenblick vergewisserte er sich, dass Meike nicht aufgewacht war. Dann schloss er die Augen und fiel augenblicklich in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

Als Meike nach nur wenigen Minuten ein leises, regelmäßiges Schnarchen hörte, kroch sie vorsichtig unter ihrer Bettdecke hervor und stand auf.

Frank hatte sich nicht geirrt, sie war tatsächlich nicht aufgewacht, als er sich plump und rücksichtslos einfach aufs Bett hatte fallen lassen. Sie hatte gar nicht geschlafen. Leise griff sie nach Franks Mantel, den er direkt vor seinem Bett ausgezogen und achtlos auf den Boden hatte fallen lassen. Meikes Hand glitt in die Seitentaschen. Nichts. Erleichtert atmete sie auf.

Sie schlüpfte in ihre Pantoffeln, schlich leise hinaus auf den Flur. Das Wohnzimmer war leer. Broder war zurück in sein Zimmer gegangen. Der Zigarettenrauch hing noch in der Luft.

Meike öffnete das Fenster, atmete tief durch. Ihr Blick fiel auf die Zigaretten, die auf dem Couchtisch lagen, dann auf die Streichhölzer. Ihr Herz krampfte sich plötzlich zusammen. Sie schlug die Hände vor ihr Gesicht und weinte.

Der kleine Friedhof lag direkt neben der Dorfkirche. Tom parkte den Wagen auf dem Kiesstreifen vor dem Haupteingang. Die hölzerne Pforte ließ sich leicht öffnen, nur die Scharniere ächzten ein wenig.

Im vorderen Teil des Friedhofes befanden sich alte Familiengräber. Einige der Grabsteine waren so stark verwittert, dass die Namen kaum noch lesbar waren. Weiter hinten, direkt neben der Kirche, sah er die neueren Grabstellen. Frische Blumenkränze deuteten auf eine nicht lang zurückliegende Beerdigung hin.

Da der Friedhof nicht besonders groß war, benötigte er nur kurze Zeit, bis er das Grab von Onkel Hannes gefunden hatte. Hier lagen keine Blumenkränze. Lediglich ein schlichtes Holzkreuz gab Auskunft über seine letzte Ruhestätte:

Hannes Friedrichsen; *15. 08. 1 934;07. 04. 1995.

Seltsam, erst beim Lesen der Lebensdaten wurde ihm bewusst, wie alt sein Onkel eigentlich geworden war.

Hinter sich hörte er plötzlich ein leises Knirschen. Er drehte sich um und sah Pastor Jensen auf dem schmalen Kiesweg zwischen den Gräbern näher kommen.

»Moin, Moin.«

»Morgen, Pastor Jensen.«

»Ach, du bist es, Tom!« Pastor Jensen erkannte ihn erst jetzt. Tom war damals sein Religionsschüler gewesen. Obwohl Onkel Hannes selbst nie in die Kirche gegangen war, hatte er doch darauf bestanden, dass Tom den Religionsunterricht besuchte.

»Ich habe dich beinahe nicht erkannt. Schön, dass du da bist.«

»Ich konnte leider nicht früher kommen. Ihr Brief hat mich erst letzte Woche erreicht.«

Der Geistliche hatte ihn vom Tod seines Onkels unterrichtet und ihn gebeten, den Nachlass zu regeln.

»Ich bin umgezogen und mit dem Nachsendeauftrag gibt es einige Probleme«, fügte Tom hinzu. Er hoffte, dass es sich nicht wie eine Ausrede anhörte.

Pastor Jensen nickte und sagte mit einem Blick auf das Grab:

»Nun hat er es endlich geschafft.«

›Was meinte er damit? Was hatte Onkel Hannes geschafft? War er womöglich sehr krank gewesen?‹

Als Tom gerade zur Frage ansetzen wollte, kam Pastor Jensen ihm zuvor: »Darf ich dich auf eine Tasse Kaffee einladen?«

»Gern!«

Während sie gemeinsam den Weg hinüber zum Pastorat gingen, erzählte der Pastor ihm von der Beerdigung.

»Es war schon traurig. Nur Küster Hansen und ich waren da. Wir haben ein Gebet gesprochen und Hansen hat auf seiner Trompete ›Meine Heimat ist dort in der Höh‹ gespielt. Vielleicht hätte es ihm gefallen.«

Tom bezweifelte das.

Im Pastorat hing der Kaffeeduft vom Frühstück noch in der Luft. Pastor Jensen bat Tom Platz zu nehmen und stellte zwei Tassen, ein Milchkännchen und eine Zuckerdose auf den Tisch. Tom blickte sich um. Der Raum war freundlich und gemütlich, vielleicht etwas altmodisch eingerichtet. Auf dem Tisch lag eine hellblaue Plastiktischdecke, an den Wänden hingen bunte Kunstdrucke von einem ihm unbekannten Maler. Nichts deutete darauf hin, dass es sich hier um die Küche eines Pastorats handelte.

Pastor Jensen setzte sich zu ihm an den Tisch.

»Tja, Tom«, sagte er dann, »das war schon eine merkwürdige Beerdigung. Du weißt ja, Hannes war nie ein Mann der Worte und so konnte ich bei seiner Beisetzung auch nicht viel sagen. Nun bin ich schon so lange hier, aber selten habe ich über einen Menschen so wenig sagen können.«

Tom konnte das sehr gut nachvollziehen.

»Warum ist sonst niemand zur Beerdigung gekommen?«

»Ach, du weißt doch, wie das ist. Hier im Dorf vergessen die Leute sehr langsam. Das hängt immer noch mit der Geschichte von damals zusammen.«

»Welche Geschichte?«

»Ja, sag bloß, du weißt gar nichts von der ganzen Sache? Na ja, kann mir gut vorstellen, dass Hannes dir davon nichts erzählt hat. War ja auch damals bereits lange her. Aber die Auswirkungen hast selbst du noch zu spüren bekommen.«

Tom fragte sich, was der Pastor meinte. Er wartete auf eine Erklärung.

»Ich spreche nicht gerne darüber. War unschön damals. Das ganze Dorf war aufgebracht. Eine Art Hetzjagd haben sie gegen Hannes veranstaltet. Ich habe versucht, ihnen ins Gewissen zu reden. Hat aber alles nichts geholfen. Richtig fünsch sind die geworden.«

Tom hatte keine Ahnung, worüber der Pastor sprach. Er wartete, dass der Geistliche weitersprach.

»Alle im Dorf waren fest davon überzeugt, dass Hannes die kleine Britta Johannsen umgebracht hatte. Bei der Gerichtsverhandlung wurde er jedoch aus Mangel an Beweisen freigesprochen. War ja auch richtig so. Gab ja noch nicht mal eine Leiche. Britta war einfach verschwunden. Das nun Hannes in die Schuhe zu schieben, war nicht richtig.« Pastor Jensen schüttelte kurz seinen Kopf, ehe er fortfuhr. »Aber die Leute im Dorf behaupteten steif und fest, dass Hannes Britta ermordet hätte.«

In Toms Kopf wirbelten plötzlich die Gedanken durcheinander. ›Onkel Hannes ein Mörder? Britta Johannsen? Es gab keine Leiche? Gerichtsverhandlung?‹ Die eben gehörten Sätze...